Hochleistungssport Musik

Hochleistungssport Musik

Viele Theatermitarbeiter arbeiten sich im Laufe ihrer Karriere regelrecht krank. Das Meininger Staatstheater will die Gesundheit seiner Mitarbeiter nun gemeinsam mit dem Campus Bad Neustadt verbessern.

Das Meininger Staatstheater an einem Abend im Mai. Während die ersten Operngäste den großen Saal betreten, sind die Musiker unten im Orchestergraben bereits am Werk. Hochkonzentriert stimmen sie ihre Instrumente, das heutige Stück „Ariadne von Naxos“ hat es in sich. Jeder Musiker übt jetzt für sich nochmal die schwierigsten Passagen. Nur der große Mann mit der eckigen Brille, der das Geschehen im Orchestergraben von der Tür aus beobachtet, wirkt völlig entspannt. „Ich muss heute auch nicht auftreten“, sagt Alexander John und schaut zu dem Musiker, der ihn heute vertreten wird. „Um Fagott auf höchstem Niveau zu spielen braucht man maximales Feingefühl in den Fingern. Aber in letzter Zeit habe ich solche Schmerzen in der linken Hand, dass ich nicht mehr spielen kann“, so der 48-jährige Berufsmusiker, der das große Holzblasinstrument schon als Kind erlernte.

Jahrzehntelange Höchstleistung

Wie Alexander John geht es vielen Berufsmusikern: „Musik ist Hochleistungssport. Aber anders als hochdotierte Fußballprofis können Berufsmusiker ihre Karriere nicht mit 30 Jahren beenden. Die jahrzehntelange Dauerbelastung führt bei vielen Musikern zu gesundheitlichen Problemen“, weiß Professor Dr. Sebastian Kerber, Chefarzt der Kardiologie I am Campus Bad Neustadt. „Aber auch die anderen Berufsgruppen am Theater haben mit den späten Arbeitszeiten und hohen Arbeitsverdichtung zu kämpfen“, sagt Kerber. Umso glücklicher ist er, seit einigen Monaten gemeinsam mit dem Intendanten Ansgar Haag und dem Orchestervorstand der Meininger Hofkapelle das Pilotprojekt „Gesundheit am Meininger Theater“ für alle Mitarbeiter vom Pförtner bis zur ersten Geigerin durchzuführen. Neben der Prävention berufsbedingter Erkrankungen zielt das Projekt vor allem auf die Sensibilisierung von Fehl- oder Überbelastung mittels Angeboten zur Schulung der Körperwahrnehmung, individuellem Körpertraining und Informationsveranstaltungen ab. Bei konkretem Behandlungsbedarf können die Mitarbeiter des Theaters außerdem auf ein Netzwerk von niedergelassenen Ärzten und Spezialabteilungen der RHÖN-KLINIKUM AG zurückgreifen.

Direkter Draht zum Campus Bad Neustadt

Dreh- und Angelpunkt des deutschlandweit einmaligen Projektes ist Koordinatorin Monika Gaggia. Als ausgebildete Cellistin und Musikphysiologin kennt sie die Anstrengungen des Theaterbetriebes aus eigener Erfahrung und hat an ihren Präsenztagen im Theater für alle Kollegen ein offenes Ohr. Allein im ersten halben Jahr des Projektes führte sie mit 200 Mitarbeitern des Hauses (davon 70 Einzelgespräche) – alles streng vertraulich natürlich! Wo Handlungsbedarf bestand, stellt Gaggia im Sinne einer „Lotsenfunktion“ über Professor Kerber Kontakt zu Experten der RHÖN-KLINIKUM AG her. Davon profitierte auch Musiker Alexander John, der bereits eine Woche nach seinem Gespräch mit Monika Gaggia bei der Klinik für Handchirurgie vorstellig werden durfte. „Ohne das Pilotprojekt hätte ich in so einer Spitzenklinik bestimmt länger auf einen Termin warten müssen“, ist der leidenschaftliche Musiker überzeugt. „Und dass ich den Medizinern nicht erst erklären musste, was ein Fagott ist, gibt mir ein gutes Gefühl für die weitere Behandlung. Sie wussten direkt, dass es auf dem linken Handballen aufliegt und haben mit gebeten, das Instrument bei unserem nächsten Termin mitzubringen“, erzählt John.

Auch wenn die Diagnose noch nicht final steht – für den langjährigen Mitarbeiter des Meininger Staatstheater hat sich die Kooperation auf jeden Fall schon gelohnt: „Obwohl viele von uns Musikern seit Jahrzehnten in einer Fehlhaltung spielen, hat unsere Gesundheit lange keine Rolle gespielt. Mit dem Projekt hat sich das geändert. Ich habe das Gefühl, dass inzwischen in allen Köpfen angekommen ist, dass gute Musik nicht nur mit Üben, sondern auch mit gesunder Lebensführung zu tun hat.“