Revolution in der Onkologie: Flüssigbiopsie

Revolution in der Onkologie: Flüssigbiopsie

Die sogenannte Flüssigbiopsie wurde entwickelt, um Patienten einfach und zuverlässig auf wiederkehrenden Krebs hin zu überwachen. Und das anhand einer gewöhnlichen, in der Arztpraxis entnommenen Blutprobe. Professor Dr. Stefan Gattenlöhner ist Leiter des Instituts für Pathologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen, wo man Blut anhand modernster Methoden analysiert.
 
Er habe keinen unmittelbaren Patientenkontakt, sagt er, tausche sich allerdings mit seinen Kollegen, den Tumorärzten, regelmäßig aus und sehe sich folglich als „theoretischen Onkologen”. Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog spricht er über die Flüssigbiopsie als wegweisende Methode, die nicht nur mehr Sicherheit biete als die etablierten bildgebenden Verfahren wie CT und Röntgen, sondern auch deutlich weniger Aufwand erfordere. „Das ist fast zu schön, um wahr zu sein”, sagt der Experte.

Herr Professor Gattenlöhner, die Flüssigbiopsie ist bei der Krebstherapie derzeit eines der ganz großen Themen. Warum?

Bei der Flüssigbiopsie geht es darum, ins Blut freigelassene Erbinformationen von Tumorzellen nachzuweisen. Die DNA können wir dann anhand bestimmter Verfahren sammeln und analysieren. Die Ergebnisse haben sich als sehr treffsicher herausgestellt.

Worum geht es bei dieser Analyse genau?

Im Wesentlichen zielt sie darauf ab, genetische Veränderungen, also Fehlentwicklungen in der Zelle, sogenannte Mutationen, nachzuweisen. Dadurch können Ärzte Rückschlüsse auf das Verhalten eines Tumors ziehen. Die gewonnen Informationen lassen sich verwenden, um die richtige Therapie zu finden und dem Patienten ein möglichst langes Leben zu ermöglichen.

Im Rahmen eines Projekts zum Thema Flüssigbiopsie behandeln Sie Patienten mit Lymphknotenkrebs. Wie gehen Sie dabei vor?

Zunächst weisen wir anhand modernster molekulargenetischer Techniken, dem sogenannten Next-Generation-Sequencing-Verfahren, genetische Veränderungen im Lymphknoten nach und erhalten auf diese Weise eine Art genetische Landkarte des Tumor. Mit Hilfe der Flüssigbiopsie schauen wir anschließend nach, ob und — falls ja – in welchem Ausmaß diese genetischen Veränderungen in Form von sogenannter zellfreier Tumor-DNA auch im Blut des Patienten vorkommen.

Was sind die Vorteile der Flüssigbiopsie?

Wir können unsere Patienten anhand der Flüssigbiopsie im Vergleich zu den bisherigen Verfahren wie zum Beispiel der Computertomografie (CT) deutlich weniger belastend und dafür sehr viel genauer nachsorgen.

Wie oft muss der Patient bei Ihnen vorstellig werden?

Er kommt vor seiner Chemotherapie und anschließend alle zwei Monate zu uns. Die Blutentnahme kann aber auch problemlos bei seinem Hausarzt durchgeführt werden, der die Blutprobe innerhalb eines Tages an uns schickt.

Konnten Sie schon einen Zusammenhang zwischen dem Befinden des Patienten und den Ergebnissen der Flüssigbiopsie feststellen?

Diesen Zusammenhang gibt es, sagen unsere bisherigen Erfahrungswerte. Das heißt in konkreten Fällen, dass bei Patienten, die sehr gut auf die Therapie ansprechen und die sich subjektiv deutlich besser fühlen, die zellfreie Tumor-DNA im Blut vollkommen verschwindet. Bei denjenigen Patienten hingegen, die auch weiterhin Symptome aufweisen, sich also schlecht fühlen, oder bei denen nach einem Ultraschall oder einer CT-Untersuchung festgestellt wird, dass der Tumor noch vorhanden ist oder zurückgekehrt ist, findet man tatsächlich immer noch Rückstände der Tumor-DNA im Blut.

Die Flüssigbiopsie lässt sich auch als Frühwarnsystem verwenden, um wiederkehrenden Krebs festzustellen…

Die Patienten befinden sich dank dieser empfindlichen Methode in einer Art Überwachungszustand. Wenn keine zellfreie Tumor-DNA im Blut nachweisbar ist, gibt es nach unseren bisherigen Erkentnnissen auch keinen Grund zur Besorgnis. Es gibt allerdings auch Fälle, bei denen sich Patienten noch ganz gut fühlen und bei denen man auch am Computertomografen oder anderen bildgebenden Verfahren nichts Auffälliges bemerkt. Nicht so bei der Flüssigbiopsie: Anhand dieser sehen wir praktischerweise auch schon zu diesem sehr frühen Zeitpunkt im Blut die zellfreie Tumor-DNA als erstes Zeichen eines Rückfalls der Erkrankung.

Röntgen, CT, PET-CT und Ultraschall sind die den meisten Menschen bekannten bildgebenden Verfahren. Kann man sagen, dass diese durch die Flüssigbiopsie an Bedeutung verlieren?

Ich glaube nicht, dass sie in Zukunft gar keine Rolle mehr spielen werden. Konkret bezogen auf den Lymphknotenkrebs, auf den wir hier in Gießen spezialisiert sind, werden wir die verschiedenen Methoden in den kommenden Jahren parallel anwenden und dann evaluieren, welche Methode die genaueste und für den Patienten verträglichste ist. Das heißt, der Patient bekommt nach der Therapie parallel die normale Nachsorge und zusätzlich noch die molekulargenetische Nachsorge im Rahmen der Flüssigbiopsie Analyse.

Sie erahnen das Ergebnis Ihrer Forschung bereits…

Anhand unserer bisherigen Untersuchungen an über 150 Patienten und über 500 Flüssigbiopsien haben wir starke Hinweise, dass die Flüssigbiopsie empfindlicher ist als die anderen Verfahren und dass sie das Wiederauftreten von Krebs somit früher erkennt. Außerdem ist es eben möglich, schon vor der Therapie nachzuweisen, wie viele Mutationen vorliegen und wie viel zellfreie Tumor-DNA vorhanden ist. Auf diese Weise wäre es dann möglich und erscheint sehr realistisch, die Patienten schon im Vorhinein in unterschiedliche Risiko- und Therapiegruppen einzuteilen.

Im Rahmen der Flüssigbiopsie nehmen Sie dem Patienten nur 10 Milliliter Blut ab. Wie lange dauert die ganze Prozedur?

Subjektiv dauert die Behandlung für den Patienten nur 30 Sekunden.

Das heißt, die Flüssigbiopsie bedeutet für den Patienten auch eine enorme Entlastung, gerade im Gegensatz zu den etablierten bildgebenden Verfahren

Auf jeden Fall. Sie ist physisch und vermutlich auch psychisch deutlich wesentlich weniger belastend, und zudem eben sehr wahrscheinlich deutlich empfindlicher und spezifischer als die herkömmlichen bildgebenden Verfahren.

Welche Vorteile bringt sie dem Patienten noch?

Die Patienten müssen für die Flüssigbiopsie nicht mehr zwingend in ein Klinikum, sondern können auch zum Hausarzt gehen. Der nimmt Blut ab, gibt es in ein Päckchen, ruft einen Eilboten. Spätestens am nächsten Tag ist das Blut dann bei uns im Institut, und wir können es untersuchen. Wir sprechen hier also von einem Plus an Sicherheit und von deutlich weniger Aufwand für alle Beteiligten. Das ist eigentlich fast zu schön, um wahr zu sein.

 

Weitere Informationen zum Thema integrierte Genommedizin auf dem RHÖN-KLINIKUM AG YouTube Kanal: Netzwerk für integrierte Genommedizin (UKGM und RHÖN-KLINIKUM AG)

 

Univ.-Prof. Dr. med. Stefan Gattenlöhner

Ihr Experte für Krebsforschung- und Therapie:
Professor Dr. Stefan Gattenlöhner
Leiter des Instituts für Pathologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen