Multimodale Schmerzmedizin: Chronische Schmerzen in den Griff bekommen

Was macht eigentlich die multimodale Schmerzmedizin? Im Gespräch mit Heiko Wolf, Chefarzt an der Klinik für Schmerzmedizin des Klinikum Frankfurt (Oder), wird klar: Bei der vielen Laien noch wenig bekannten Therapieform werden schmerzmedizinisch weitergebildete Therapeuten unterschiedlicher Fachbereiche in die Untersuchung und Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen eingebunden. Ziel ist, die zum Teil komplexen Einflüsse, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen führen, zu erkennen und adäquat zu behandeln.

Wenn anhaltende oder immer wiederkehrende Schmerzen das familiäre oder berufliche Leben bzw. das seelische Wohlbefinden des Patienten beeinträchtigen, spricht man von einer Schmerzerkrankung. Rund 2,8 Millionen Deutsche leiden an einer schweren, chronischen Schmerzerkrankung, sagt die Statistik. Flächendeckend gute Versorgung sei für diese Patienten nur durch ein sogenanntes abgestuftes Versorgungmodell möglich, sagen Experten.

Im Rahmen eines solchen werden Hausärzte mit Basiskenntnissen im Schmerzmanagement von schmerzmedizinisch weitergebildeten Spezialisten wie Heiko Wolf unterstützt. Er ist Chefarzt an der Klinik für Schmerzmedizin des Klinikum Frankfurt (Oder), wo er und sein Team die multimodale Diagnostik und Therapie chronischer Schmerzen bereits seit 2012 anbieten.

„Spezialisierte Facharzt-Welt”

„Wir befinden uns in einer sehr spezialisierten Facharzt-Welt“, sagt Wolf im Gespräch für den RHÖN-Gesundheitsblog. Wer als Patient heute Schmerzen habe, gehe zunächst zum Facharzt. Dieser suche in der Regel nach denjenigen Schmerzursachen, die in seinen jeweiligen Fachbereich fielen. „Häufig ist den Patienten damit gut geholfen. Speziell bei Patienten mit chronischen Schmerzen werden jedoch nicht selten therapierelevante Schmerzeinflussfaktoren schlicht übersehen”, sagt der Arzt.

In der Regel kämen all jene Patienten in seine Klinik für Schmerzmedizin, deren Schmerzen durch die bisherige Behandlung nicht ausreichend gelindert worden seien. Oft hätten sie das Gefühl, die aktuelle Therapie mache keine Fortschritte. Zugleich verspürten sie oftmals einen hohen Leidensdruck, etwa deshalb, weil ihr Arbeitsplatz aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen gefährdet sei, oder weil sie Aufgaben des häuslichen Alltags nicht mehr bewältigen könnten.

Ganzheitlicher Ansatz als Lösung

Helfen kann Heiko Wolf mit dem, was man einen multimodalen oder ganzheitlichen Ansatz nennt. Dabei wird der Patient von schmerztherapeutisch versierten Therapeuten aus unterschiedlichen Fachbereichen untersucht. Ein solcher „Rundum-Check“ dauert dann oft einen ganzen Tag lang.

Unter anderem werde erhoben, was bislang schon medizinisch unternommen wurde, wie sich die Maßnahmen ausgewirkt haben, welche Operationen bereits stattfanden, und welche Medikamente der Patient bereits eingenommen hat.

„In enger interdisziplinärer, d. h. multimodaler Zusammenarbeit entwerfen wir ein ganzheitliches Bild des Patienten mit seiner Schmerzerkrankung“, sagt Wolf. Neben Untersuchungen, die sich auf den Körper als physischen Funktionsapparat konzentrieren, prüfen er und seine Kollegen auch gezielt, in welchem psychosozialen Spannungsfeld sich der Patient befindet, beruflich wie privat, und außerdem, welchen Stellenwert die Schmerzen für ihn haben.

Individuelles Therapiekonzept

„Bei den Institutionen, bei denen viele unserer Patienten vorher waren, hat man oft nur auf Teilaspekte geblickt”, sagt Wolf. Wenn bei der Diagnostik chronischer Schmerzen ein Arzt einseitig auf ein Röntgenbild schaue oder sich ein Psychologe nur für die schmerzbedingten psychischen Beeinträchtigungen des Patienten interessiere, sei das problematisch.

Denn chronische Schmerzen hätten oft komplexe Ursachen, die dementsprechend bei umfänglicher Diagnostik auch komplexe Methoden verlangten. Eben die der Schmerzmedizin, die versucht, das große Ganze im Blick zu behalten.

„Im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie versuchen wir, das ganze Spektrum der schmerzrelevanten Einflussfaktoren abzudecken und daraus ein individuelles Therapiekonzept zu entwickeln“, sagt Wolf. Dabei kämen die Physiotherapie, medizinische Trainingsmaßnahmen und psychotherapeutische Verfahren ebenso zum Einsatz wie Medikamente, Injektionen oder Infusionen.

Auch sagt er, er sehe seine Disziplin, die Schmerzmedizin, unter anderem als Qualitätssicherung: „Wenn Patienten nach einer monomodalen Therapie weiterhin schmerzgeplagt sind, weil schmerzrelevante Einflussgrößen übersehen wurden, versuchen wir diese natürlich kurativ zu behandeln.“ Gelegentlich könne die Schmerzursache jedoch nicht beseitigt oder nicht eindeutig identifiziert werden.

Dann sei die symptomatische Therapie der Schmerzen das Ziel der Behandlung. Somit sei die Therapie nicht abhängig von einer einzelnen Organdiagnose oder der Therapierbarkeit einer einzelnen Organerkrankung.

„In den somatischen Bereichen der Medizin scheint es, als würden die Patienten nicht selten bei Abschluss der Behandlung mit oder ohne ein nachhaltiges Schmerztherapiekonzept bzw. unabhängig vom subjektiven Leidensdruck entlassen. Wir machen den Therapiebedarf am subjektiven Leidensdruck bzw. an den schmerzbedingten Einschränkungen im privaten und beruflichen Alltag der Patienten fest”, erklärt der Schmerzmediziner.

Subjektive Zufriedenheit des Patienten entscheidend

„Umgekehrt bewerten wir den Therapieerfolg an der subjektiven Zufriedenheit bzw. an der Verbesserung von Alltagsfunktionen der Patienten.” Und diese seien eben nicht immer allein davon abhängig, ob die Schmerzursache im Sinne einer Heilung beseitigt werden konnte, sondern davon, ob ein nachhaltiges Konzept zur Linderung der Schmerzen erarbeitet werden konnte.

Bereits im antiken Griechenland zu Zeiten Hippokrates sei es darum gegangen, die Menschen in ihrem Leid zu „begleiten”, sagt Wolf. Heute hingegen hätten viele Fachspezialisten den Anspruch, durch Heilung der Grunderkrankung die Schmerzen zu lindern. Dadurch würden hohe Erwartungen bei den Patienten geweckt, denen jedoch auch die moderne Medizin häufig nicht gerecht werden könne.

Was ihn beruhigt: Seit 2016 sei die Diagnostik, Therapie und Prävention chronischer Schmerzen fester Bestandteil der universitären Medizinerausbildung. Das sei eine gute Nachricht für seine Disziplin, die Schmerzmedizin. Und diese ist zunehmend gefordert, denn die Kosten für schmerzbedingte Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung werden allein in Deutschland auf über 20 Milliarden Euro jährlich geschätzt.

Erfolgreich im Kampf gegen die Beschwerden so vieler Patienten könne die Medizin da nur sein, wenn sie von Entschlossenheit und kollegialem Austausch geprägt sei, sagt Wolf. Die alleinige Behandlung von chronischen Schmerzpatienten mit Schmerzmedikamenten sei oft eine Sackgasse: „Dann nimmt der Patient in der Folge nur noch diese Mittel, die den Schmerz aufrechterhaltenden Einflussfaktoren gehe man somit aber nicht an.“

Klinik-Standort Frankfurt (Oder)

Zu den in Frankfurt (Oder) behandelten chronischen Schmerzen gehören Schmerzursachen, die mit geweblichen Strukturveränderungen einhergehen, also zum Beispiel Verletzungen, Entzündungen und Tumoren, genauso wie Schmerzursachen, die durch Störungen der Gewebefunktion, also etwa Neuropathien, Spastik, Muskelschmerzen, charakterisiert werden.

Tatsächlich unterliege die Schmerzwahrnehmung aber eben zusätzlich auch psychosozialen Einflussfaktoren, sagt Wolf. Das heißt, dass auch die Erwartungen, Erfahrungen und Befürchtungen eines Patienten potentiell nachweislich großen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung, also die empfundene Schmerzintensität, haben.

Wenn Schmerzursachen bzw. Einflussfaktoren richtig erkannt würden, sagt Heiko Wolf, eröffneten sich häufig neue Behandlungsoptionen, die nicht selten die Notwendigkeit der medikamentösen Schmerztherapie verringerten.

Im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie werden Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, die es den Patienten erlauben, ein individuelles Verständnis für die Aufrechterhaltung ihrer Schmerzen zu entwickeln, ihre Schmerzen möglichst eigenständig zu lindern und damit ihre Lebensqualität zu verbessern.

Mit anderen, wissenschaftlichen Worten: Das zentrale Behandlungsziel der multimodalen Schmerztherapie ist die Wiederherstellung der sogenannten objektiven und subjektiven Funktionsfähigkeit mit Steigerung der Kontrollfähigkeit und des Kompetenzgefühls der Betroffenen sowie die Linderung der Schmerzen.

Dabei sei die enge Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachbereiche bei der Diagnostik und Therapie chronischer Schmerzen deshalb so wichtig, weil viele kranke Menschen sich von Medizinern „mit Tunnelblick“ einseitig und unzureichend behandelt fühlten, sagt Wolf.

Heiko Wolf, Chefarzt für Schmerzmedizin

Ihr Experte für Schmerzmedizin:
Heiko Wolf
Chefarzt der Klinik für Schmerzmedizin am Klinikum Frankfurt (Oder)