Digitalisierung kennt kein Alter: Ein Erfahrungsbericht aus dem Innovationsfondprojekt sekTOR-HF

Digitalisierung kennt kein Alter: Ein Erfahrungsbericht aus dem Innovationsfondprojekt sekTOR-HF

Herzinsuffizienz ist in Deutschland einer der häufigsten Gründe für einen Klinikaufenthalt. Ein besonderes Versorgungsprojekt in den Regionen Bad Neustadt und Marburg/Biedenkopf zeigt: Telemedizinische Begleitung verbessert die medizinische Versorgung von Patient:innen. Ziel des wissenschaftlich begleiteten Innovationsfondsprojekts „sekTOR-HF“ ist es, unnötige Krankenhauseinweisungen zu reduzieren und eine Verschlechterung der Erkrankung zu verhindern.

Eines der Kernelemente des Projekts ist ein eHealth-Portal, in das Patient:innen täglich ihre Gesundheitsdaten eintragen. Ein Weiteres ist ihre intensive Begleitung durch das medizinische Fachpersonal einer koordinierenden Netzwerkstelle, bestehend aus einer Fachärztin für Kardiologie und einer Krankenschwester. Initiiert wurde sekTOR-HF von Professor Bernd Griewing, Chief Medical Officer der RHÖN-KLINIKUM AG, der auch das gesamte Projekt verantwortet. Dieter Wurzschmitt, selbst Herzinsuffizienz-Patient und Teilnehmer an sekTOR-HF, erzählt in einem spannenden Interview von seinen persönlichen Erfahrungen während der Projektlaufzeit.

Danke, dass Sie sich für unser Gespräch Zeit nehmen. Vielleicht könnten Sie kurz erklären, welche Rolle die Herzinsuffizienz in Ihrem Alltag spielt.

Ich bin jetzt fast 87 Jahre. In diesem Alter hat man meistens nicht nur eine gravierende Erkrankung, die den Alltag beeinflusst. Neben der Herzinsuffizienz sind das bei mir eine Arthrose an den Gelenken und der Lendenwirbelsäule. Das war auch der Grund, warum meine Herzinsuffizienz erst relativ spät entdeckt wurde. Erst als die Diagnose feststand, habe ich mich mehr und mehr mit dem Thema auseinandergesetzt. Mittlerweile nehme ich regelmäßig Entwässerungstabletten ein und zur Zeit außerdem noch einen Betablocker. So eingestellt habe ich keinerlei Einschränkungen im Alltag. Ich fühle mich sicher, und in gewissem Umfang auch belastbar. Dabei hat mir auch das Programm sekTOR-HF geholfen.

Sie sind ja einer der Menschen, die anhand dieses Programms die moderne Telemedizin schon live erleben konnten. Wie war das für Sie?

Meine Blutdruckwerte habe ich schon vorher täglich gemessen, aufgezeichnet und grafisch ausgewertet. Das Ganze habe ich dann mit Bemerkungen versehen, zum Beispiel dann, wenn sich Medikation oder Dosierung verändert haben. Insgesamt kann ich sagen: Die Technik hat mir keine grundlegenden Probleme gemacht. (Manchmal hat die Datenübermittlung leider nicht richtig funktioniert. Ein Anruf bei meinem Betreuer-Team hat das aber schnell aufgeklärt.) Grundsätzlich bin ich medizinisch und technisch interessiert, hinterfrage auch gerne Dinge, die mir unklar sind – und habe auch keine Hemmungen gehabt, den behandelnden Arzt zu fragen, wenn etwas für mich unklar gewesen ist.

Wie war denn der Kontakt mit Ihrem Betreuer-Team ganz allgemein?

Zunächst bin ich bei der Übergabe der Geräte in alles genau eingewiesen worden. Das hat die Netzwerkassistentin gemacht und das alles war sehr aufschlussreich und gut verständlich. Und es hat einen persönlichen Bezug zu einem Menschen hergestellt, was ich als Patient sehr wichtig finde. Ich kann mir vorstellen, dass viele Leute der Technik nur deswegen zunächst ablehnend gegenübertreten, weil neben ihr solch ein persönlicher Kontakt, den ich gehabt habe, vielleicht fehlt. Es heißt ja nicht umsonst, dass schon allein Zuwendung bei der Heilung helfen kann.

Welche Rolle hat es für Sie gespielt, dass Ärztinnen, Ärzte und die Netzwerkassistentin über die moderne Technologie sich jederzeit einen Überblick über Ihren gesundheitlichen Zustand verschaffen konnten?

Die Versorgung habe ich als positiv empfunden. Wenn ich bei „unschönen Werten“, wie zum Beispiel einer Gewichtszunahme, von der Netzwerkstelle (Ärztin oder Krankenschwester) angerufen worden bin, hat mir das vermittelt, dass diese Menschen sich für meine Werte und damit meine Gesundheit interessieren. Es ist ein sehr direkter Kontakt, der mich auch immer wieder beruhigt hat. Interessant war für mich in diesem Zusammenhang, dass ich einiges über das Zusammenspiel von Medikamenten und meinem persönlichen Verhalten gelernt habe.

Welcher Aspekt dieser neu konzipierten Versorgung war Ihnen als Herzpatient denn besonders wichtig und warum?

Da muss ich etwas ausholen: Zunächst war ich Jahre lang mit meiner medizinischen Versorgung sehr zufrieden. Und es hat dementsprechend auch keinen Anlass gegeben, irgendetwas zu ändern. Betreut wurde ich von einem sehr guten Kardiologen, der nur etwa 800 Meter entfernt von meiner Wohnung in einem Medizinischem Versorgungszentrum gearbeitet hat. Diese für mich günstige Situation hat sich allerdings gravierend geändert, als dieser Arzt die Einrichtung verlassen hat und kein Nachfolger gefunden werden konnte. Für mich als Patient hat das natürlich bedeutet, dass ich mir einen neuen Fachmann suchen musste. Was schlussendlich dann auch funktioniert hat. Allerdings ist der neue Kardiologe nicht mehr in meiner Nachbarschaft, sondern in einem Ort, der 17 Kilometer entfernt liegt. Bei regelmäßigen Untersuchungen, wie zum Beispiel Ultraschall oder dem Auslesen des Herzschrittmachers, ist das kein Problem. Wohl aber bei plötzlich auftretenden Ereignissen oder Komplikationen. Dann muss ich nämlich möglichst schnell einen Termin vereinbaren, und auch noch einen Fahrer organisieren, der mich dorthin bringt. Das Telemedizin-Projekt sekTOR-HF ist daher eine tolle Ergänzung zu meiner herkömmlichen Behandlung, da die Netzwerkstelle in regelmäßigem Austausch mit mir und meinem Kardiologen steht. Es bietet eine ganzheitliche Kontrolle über das gesamte Jahr hinweg. Außerdem ist die Kommunikation viel direkter, weil es die moderne Technologie möglich macht. Wenn ich mich dort melde, wissen alle schon über meine aktuellen Vitalwerte Bescheid. Das ist wichtig und wertvoll für mich.

Hat sich Ihr Alltag durch diese neue Art von Arzt-Patient- Kommunikation irgendwie verändert?

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass es weiterhin wichtig bleibt, seine Ärztin oder seinen Arzt ab und zu persönlich zu sehen. Einfach weil ein solcher Mensch, der mich kennt, schon allein aus meinem Gehverhalten, meinem Händedruck und meiner Sprache viel ableiten kann – und mich dadurch besser verstehen und versorgen kann. Daneben wäre es absolut wünschenswert, wenn es gelingen würde, Menschen mit einer chronischen Langzeiterkrankung daneben auch telemedizinisch zu versorgen. Es sind beides direkte Erfahrungen, die sich gut ergänzen können, finde ich.

Wie ist der weitere Kontakt mit dem Fachpersonal verlaufen?

Gemeinsam haben wir von der Norm abweichende Werte hinterfragt und diskutiert. Und in manchen Fällen sind dann, in Abstimmung mit meinem Kardiologen, die Medikation oder die Dosis verändert worden.

Welche Bedeutung hat/hatte das Pilot-Projekt für Sie persönlich – vor allem im Hinblick auf Ihre Erkrankung?

Ich habe gelernt, die Wirkung von Medikamenten besser zu beobachten und dadurch sicherer und besser eingestellt zu leben. Insgesamt gehe ich heute durch den Herzschrittmacher, die Medikamente und meine Beobachtungen und Erkenntnisse sicherer durchs Leben, das kann ich so sagen. Ich bin, meinem Alter entsprechend, belastbar und habe Freude am Leben.

Wie würden Sie Ihre Rolle als Patient im Pilot-Projekt beschreiben?

Meine Rolle war die eines braven, neugierigen Patienten (lacht). Und erleben konnte ich, wie man moderne Technologie sinnvoll und auch komfortabel nutzen kann. Ehrlicherweise muss ich aber zugeben, dass ich zunächst einmal meinen „inneren Schweinehund“ überwinden musste: Über ein Jahr lang gewissenhaft und pünktlich Messungen durchzuführen, das ist schon eine gewisse Herausforderung. Aber zum Glück ist es im Leben immer mein Anspruch gewesen, Dinge, die ich anpacke, korrekt und pünktlich zu Ende zu bringen. Und das war bei dem Projekt jetzt genauso.

Was würden Sie Menschen sagen, die modernen technischen Lösungen allgemein eher ablehnend gegenüberstehen?

Abneigung, oder gar Ablehnung muss man natürlich zunächst einmal immer ernst nehmen. Denn meistens sind es Ängste, die sich dahinter verbergen. Ein Teil der Lösung kann sicher sein, die Technologien möglichst einfach zu gestalten. Alles muss für mich als Patient leicht bedienbar und logisch aufgebaut sein. Das ist bei sekTOR-HF schon ziemlich gut gelungen ist, finde ich. Daneben halte ich es für sinnvoll, skeptisch eingestellten Menschen ganz konkret die Vorteile eines solchen Systems vorzustellen. Im konkreten Fall heißt das: Keine Wartezeit beim Arzt, außerdem eine tägliche, zeitnahe Überwachung des eigenen Gesundheitszustands mit schneller Eingriffsmöglichkeit. Zudem gibt es auch eine direkte Telefonberatung.

Ganz allgemein: Hat das Projekt Ihre Erwartungen erfüllt?

Ja, ich kann sagen, dass meine Erwartungen erfüllt worden sind. Für wichtig halte ich, wie eben beschrieben, dass die Vorteile einer solchen telemedizinischen Versorgung auch weniger technikaffinen Menschen gezielt vorgeführt werden. Und im Hinblick auf meine persönliche Krankheitsgeschichte kann ich sagen, dass eine Herzinsuffizienz, wie ich sie habe, nicht zwingend eine Verschlechterung der Lebensqualität bedeutet.

Im Interview:
Dieter Wurzschmitt,
Herzinsuffizienz-Patient und
Teilnehmer an sekTOR-HF