Diabetisches Fußsyndrom: „Je früher eine Wunde entdeckt wird, desto besser!“

Diabetisches Fußsyndrom: „Je früher eine Wunde entdeckt wird, desto besser!“

Beim sogenannten diabetischen Fußsyndrom sorgt eine Nervenschädigung für Empfindungsstörungen. Verletzungen am Fuß können dadurch von Betroffenen nicht rechtzeitig wahrgenommen werden. Ohne eine adäquate Behandlung kann es in schlimmen Fällen vorkommen, dass ein Fuß komplett amputiert werden muss.

Verhindern lassen sich die Folgen des diabetischen Fußsyndroms in erster Linie durch gute Vorsorge und eine gute Fußpflege, erklärt Dr. Henning Samwer. Er ist Diabetologe und Chefarzt der Medizinischen Klinik IV für Angiologie und Diabetologie am Gesundheits-Campus Klinikum Frankfurt (Oder).

Erst kürzlich ist seine Einrichtung mit dem Gütesiegel „Zertifizierte Fußbehandlungseinrichtung“ ausgezeichnet worden. Damit erfüllt die Klinik die von der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) festgelegten hohen Qualitätsstandards bei der Behandlung des diabetischen Fußsyndroms.

Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog erklärt Dr. Samwer, was genau das diabetische Fußsyndrom ist, welche Therapiemöglichkeiten seine Klinik anbietet, und welche Bedeutung die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit seinen Kolleginnen und Kollegen vor Ort hat.

Herr Dr. Samwer, wann läuten bei Ihnen als Arzt hinsichtlich des diabetischen Fußsyndroms die Alarmglocken?

Wenn meine Patient:innen Wunden an den Füßen haben. Darunter fallen solche, die infiziert sind, aber auch solche, die es (noch) nicht sind. Oftmals sind mit diesen Wunden auch Schmerzen verbunden. Wenn Menschen darüber hinaus Fieber haben, kann das ein Zeichen sein, dass die Situation sich schon zugespitzt hat.

Inwieweit hängt die Problematik denn mit der Erkrankung Diabetes zusammen?

Viele Diabetiker:innen entwickeln nach langer Krankheitsdauer eine sogenannte diabetische Polyneuropathie. Das ist eine Komplikation, die sich oftmals anhand von Schmerzen und Kribbeln äußert, manchmal aber auch durch Gefühlsabschwächung. Dadurch wiederum werden Fehlbelastungen beim Gehen nicht bemerkt, ebenso wenig wie Verletzungen, die man ansonsten stark wahrnehmen würde.

Mit welchen Folgen?

Es können sich große Wunden bilden, die oftmals leider erst viel zu spät bemerkt werden. Wenn diese sich infizieren, kann es schnell gefährlich werden. Insbesondere kritisch ist die Thematik, weil durch die Krankheit Diabetes ja ohnehin nur eine eingeschränkte Immunabwehr besteht. Erschwerend kommt noch hinzu, dass bei vielen Diabetikerinnen und Diabetikern die sogenannte diabetische Angiopathie vorliegt.

Was bedeutet das?

Das ist eine Gefäßerkrankung, von der die Blutgefäße betroffen sind. Durch sie ist die Durchblutung oftmals eingeschränkt, was natürlich die Wundheilung verzögern kann. Es kommt also sehr schnell eine Prozesskette in Gang, die mitunter schwer wieder zu stoppen ist.

Wann ist eine Verletzung am Fuß denn grundsätzlich als kritisch einzustufen?

Selbst kleine Verletzungen können bei Diabetiker:innen schnell zu großen Komplikationen führen, wodurch sich der Gesundheitszustand rasant verschlechtern kann. Das ist auch das Typische beim Krankheitsbild diabetischer Fuß: Dass aus einer „Bagatellwunde“ eine ganz gravierende Wunde werden kann – und in schlimmsten Fällen der Fuß sogar amputiert werden muss.

Können Sie betroffenen Patient:innen denn grundsätzlich Mut machen, was Behandlungsmöglichkeiten angeht?

Zunächst gilt: Je früher eine Wunde entdeckt wird, desto besser. Und therapeutisch können wir eine ganze Menge machen: Wir führen zum Beispiel Infektionsbehandlungen anhand von Antibiotika durch. Darüber hinaus bieten wir sogenannte Lokalbehandlungen an. Hier geht es um die Abtragung von abgestorbenem infizierten Gewebe sowie die Reinigung einer Wunde, zum Beispiel von Eiter. Manchmal müssen wir Abszesse, also Ansammlungen von Eiter, „punktieren“. Überprüfen müssen wir natürlich auch fortlaufend die Durchblutung. Eventuell ist hier dann eine interventionelle Gefäßerweiterung mittels Ballon oder eine Bypass-Operation notwendig. Auch der Stoffwechsel sollte gut eingestellt werden, was eine sinnvolle Diabetes-Therapie voraussetzt. Darüber hinaus müssen wir uns mit dem Thema Druckentlastung hinsichtlich der Füße beschäftigen. Das ist komplex, gerade wenn Menschen beim Gehen ihre Wunde unzureichend oder gar nicht spüren – und trotzdem eine hohe physische Belastung stattfindet. Dadurch kann sich die Infektion schnell stark verschlimmern.

Sind Ihre Patient:innen denn auf Station, oder läuft das Ganze ambulant ab?

In manchen Fällen ist eine stationäre Aufnahme sinnvoll, damit wir die verschiedenen Säulen einer Therapie sinnvoll nacheinander durchführen können. Viele Probleme können wir allerdings auch anhand unserer ambulanten Sprechstunde lösen. Hier profitieren wir als Klinik davon, dass viele Kolleg:innen unterschiedlichster Fachbereiche an einem Ort zusammenarbeiten, was bei der Einschätzung eines Krankheitsbildes natürlich sehr hilfreich sein kann.

Um Fälle welcher Art geht es da hauptsächlich?

Es kann zum Beispiel vorkommen, dass Patientinnen oder Patienten vermuten, sie würden an einem diabetischen Fußsyndrom leiden, wobei es sich tatsächlich um eine dermatologische Erkrankung handelt. In solchen Fällen können wir natürlich sofort nach Feststellung des Krankheitsbildes die richtigen therapeutischen Maßnahmen ergreifen. Das erspart den Betroffenen viel Zeit und Nerven.

Wie kann man sich diese Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen denn vorstellen?

Wir als Angiologie und Diabetologie bilden mit der Gefäßchirurgie eine gemeinsame Abteilung, arbeiten also eng zusammen. Hier können wir gut aufeinander abgestimmte Entscheidungen treffen, zum Beispiel, möglichst schnell zu operieren, wenn zum Beispiel bei einer schweren Infektion eine lebensbedrohliche Sepsis droht. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit halte ich für extrem wichtig. Auch die Radiologinnen und Radiologen mit ihren Möglichkeiten der bildgebenden Verfahren leisten hier wertvolle Arbeit. Und nicht zuletzt die Pflegekräfte, die uns sehr unterstützen. Außerhalb des eigenen Hauses arbeiten wir mit Sanitätshäusern zusammen, die – im Hinblick auf das Thema Druckentlastung beim Gehen – natürlich gute Ratgeber sind.

Gibt es für Diabetiker:innen denn sinnvolle Möglichkeiten, dem diabetischen Fußsyndrom vorzubeugen?

Ja, man kann präventiv sehr viel machen. Zunächst einmal ist es wichtig festzuhalten, dass Menschen mit Diabetes oftmals trockene Füße haben. Auch deshalb, weil die Erkrankung die Schweißdrüsen schädigt. Der trockene Fuß begünstigt kleine Risse, die Infektionen dann Vorschub leisten. Um zu verhindern, dass die Haut trocken wird, bieten sich eine Reihe von Cremes an, die Harnstoff enthalten. Solche Salben sind frei verkäuflich, also nicht nur in Apotheken zu bekommen, sondern auch beim Drogerie-Markt.

Wie oft sollte man die Füße denn eincremen?

Ich rate in den meisten Fällen zu ein bis zwei Mal am Tag. Empfehlen kann ich außerdem das Tragen von weißen Strümpfen. Sie helfen dabei, Blut oder Eiter sofort auf dem weißen Stoff zu entdecken. Außerdem ist es natürlich sinnvoll, sich als vom diabetischen Fuß betroffene Person täglich die Füße genau anzusehen. Solch ein Routine-Check kann schlimme Folgen wirklich effektiv verhindern. Das kann ich aus Erfahrung sagen.

Auf was sollte man bei diesem „Fuß-Check“ denn achten?

Gefährlich sind vor allem Steine in den Schuhen, die den Fuß schnell verletzen können. Wenn man Probleme mit Hornhaut hat, sollte man zur Entfernung eine Podologin oder einen Podologen aufsuchen. Die Kosten hierfür werden von den Krankenkassen übernommen, wenn man an einer Polyneuropathie oder Angiopathie leidet.

Also lieber nicht selbst entfernen?

Davon rate ich ab, und auch vom eigenständigen Schneiden der Fußnägel. Einfach deshalb, weil man sich schnell verletzen kann. Und selbst kleinste Wunden können, wie gesagt, schnell schlimme Folgen haben. Darüber hinaus empfehle ich auch die regelmäßigen DMP-Untersuchungen durch niedergelassene Ärzte, die sich einmal im Jahr die Füße anschauen. Da gibt es Tests zur Überprüfung der Durchblutung und der Polyneuropathie. Sollten hier Auffälligkeiten auftreten, kann die/der Kolleg:in sofort an eine Klinik wie die unsere überweisen.

Würden Sie noch einen Blick in die Zukunft werfen? Was erwarten Sie für Ihre Disziplin in den kommenden Jahren und Jahrzehnten?

Grundsätzlich muss man sagen: In den vergangenen Jahren hat sich schon sehr vieles verbessert. Zum einen gibt es mittlerweile Medikamente, mit denen man den Zucker sehr gut einstellen kann und die positive Effekte hinsichtlich des Langzeitrisikos von Arteriosklerose, Herzinsuffizienz und Nierenschädigung haben. Auch in Bezug auf die Blutzuckermessung bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes Typ-1 und Typ-2 gibt es Fortschritte, mittlerweile nämlich einen Sensor mit Alarmfunktion, um sich den Zucker anzeigen zu lassen. Das sind vielversprechende Entwicklungen. Und dann wäre da noch das bedeutende Thema Telemedizin, das gerade für Menschen, die in ländlichen Regionen leben, künftig eine immer größere Rolle spielen dürfte. Zuckerwerte können dann ganz einfach über neue Technologien digital übertragen werden, wodurch der Gang zum Arzt in vielen Fällen wegfällt. Was das diabetische Fußsyndrom angeht, gibt es mittlerweile interessante Ansätze, durch gut geeichte Kameras dem Arzt im Rahmen einer Videosprechstunde den Fuß zu zeigen. Das ist für manche Betroffene schon deshalb praktisch, weil sie wegen ihrer Fußprobleme nicht mehr selbst mit dem Auto fahren können oder möchten. Mittlerweile gibt es auch Sensoren, auf die Menschen sich stellen können und die die Wärme- und Druckverteilung messen. Ein erwärmter Fuß ist oftmals ein erstes Anzeichen für eine sich anbahnende Infektion.

Ihr Experte für Diabetes:
Dr. Henning Samwer
Chefarzt der Medizinischen Klinik IV für Angiologie und Diabetologie am Gesundheits-Campus Klinikum Frankfurt (Oder)