Lebensmittelallergien – Klarheit ins Begriffschaos

Lebensmittelallergien – Klarheit ins Begriffschaos

Darf ich Gluten oder Erdnüsse essen? Oder soll ich lieber ganz darauf verzichten? Solche Fragen hört Tobias Trautvetter oft. Er ist Diplom-Trophologe und an der Zentralklinik Bad Berka als Diabetes- und Ernährungsberater tätig. Was den meisten Menschen, die über Ernährung sprechen, nicht immer klar ist: Es gibt große Unterschiede zwischen einer Allergie und einer Intoleranz.

Oder, wie Tobias Trautvetter es formuliert: „Es herrscht ein großes Kuddelmuddel da draußen, was die Begrifflichkeiten angeht“. Das trage wesentlich zur Verunsicherung vieler seiner Patient:innen bei, sagt er.

Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog bringt der Experte Klarheit ins Begriffs-Chaos, spricht über die Linderung von Symptomen – und gibt Tipps für den nächsten Einkauf im Supermarkt und für das korrekte Verhalten in der heimischen Küche.

Herr Trautvetter, damit uns allen das ein für allemal klar ist: Erklären Sie doch mal den Unterschied zwischen einer Lebensmittelallergie und einer Unverträglichkeit!

In einem Satz?

Jede Allergie ist auch immer eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, aber nicht jede Nahrungsmittelunverträglichkeit ist eine Allergie.

Das klingt kompakt. Ist aber offensichtlich ein Themengebiet, das oft für Irritationen sorgt…

Die größten Probleme bereiten tatsächlich oftmals die Begrifflichkeiten. Ob ich eine Allergie habe, oder eine Unverträglichkeit, oder eine Sensitivität, oder eine Intoleranz – das sind unterschiedliche Begriffe, die, zumindest gefühlt, in weiten Teilen der Bevölkerung alle ungefähr das Gleiche bedeuten. Das ist aber gar nicht so. „Nahrungsmittelunverträglichkeit“ oder -„Sensitivität“ sind Überbegriffe. Sie fassen alles zusammen, sowohl Allergien als auch Intoleranzen.

Wir das ganze Thema tendenziell überschätzt?

Nein. Für die Menschen, die es wirklich betrifft, sind Allergien als auch Intoleranzen natürlich ein großes Problem. Tatsächlich scheint es aber so zu sein, dass wesentlich mehr Menschen denken, sie würden an einer Intoleranz leiden, als dies tatsächlich der Fall ist. Insofern wird auch, was die Ernährung angeht, wohl viel unternommen, was eigentlich gar nicht nötig wäre. Fakt ist aber auch: Manchmal machen bestimmte Inhaltsstoffe eines Lebensmittels einem Menschen zu schaffen. Dahinter stecken aber oftmals eben keine schlimmen Allergien.

Wie kann ich grundsätzlich feststellen, ob ich eine Allergie habe, oder eben „nur“ eine Intoleranz?

Nur über eine anständige Diagnostik. Symptome gibt es nämlich sehr viele, zum Beispiel Atemwegsbeschwerden, Nießen oder Husten, bis hin zu Problemen mit den Schleimhäuten, oder auch Bauchschmerzen. Es kann auch zu Hautveränderungen kommen, wie zum Beispiel der Neurodermitis.

Wie funktioniert die Diagnostik?

Anhand von Haut- und Bluttests. Hintergrund ist, dass eine Allergie immer durchs Immunsystem vermittelt ist. Das heißt, dass von einer betroffenen Person immer eine Immunantwort ausgeht. Experten können dann nach Antikörpern suchen. Im Bereiche der Lebensmittel-Allergien sind das die sogenannten IGE-Antikörper, die im Blut nachzuweisen sind. So wird zum Beispiel verfahren, wenn eine Glutenunverträglichkeit, auch Zöliakie genannt, vorliegt. Allerdings wird hier nach sogenannten IgA-Antikörpern gesucht, eine Besonderheit der Zöliakie. Zusätzlich überprüfen Experten auch noch, wie es im Darm aussieht. Außerdem werden im Fall verschiedener Intoleranzen Atemtests gemacht, zum Beispiel im Fall von Fruktose- oder Laktose-Intoleranzen. Eine große Bedeutung kommt natürlich auch der Anamnese zu, also der Erhebung der Krankheitsgeschichte des jeweiligen Patienten.

Falls eine Allergie der Grund für die Beschwerden sein sollte: Wie sollte ich mich als Patient dann verhalten?

Ich sollte – oder: muss – bestimmte Lebensmittel tunlichst meiden. Das bedeutet, dass es keine Rolle spielt, ob ich geringe oder große Mengen hiervon zu mir nehme. Das ist auch der Unterschied zu einer Intoleranz, bei der meist eine geringe Menge eines Stoffes noch vertragen wird. Im Volksmund wird von der „Gluten-Intoleranz“ gesprochen, was so nicht stimmt. Hier handelt es sich ganz klar um eine Allergie, bei der selbst wenig Gluten viel kaputtmachen kann.

Was passiert bei einer solchen Allergie eigentlich im Körper?

Bei einer Lebensmittelallergie reagiert das Immunsystem. Die Theorie ist, dass es „nicht genug zu tun hat“ und deswegen quasi „überreagiert“ und sich „neue Ziele sucht“, was eben zum Beispiel Nahrungsmittelallergene sein können, die plötzlich Probleme bereiten. Sobald die Person etwas isst, kommt es zu einer Immunantwort, also zum Beispiel zu Durchfall oder Neurodermitis.

Wenn ich also merke, dass mein Lieblingsbrot mir über längere Zeit Magenschmerzen bereitet, sollte ich zum Arzt?

Ja, am besten zum Allergologen. Oftmals landen Patienten allerdings zunächst beim Gastroenterologen, der aber nicht unbedingt immer auch Allergologe sein muss. Diagnosen haben dann oftmals mit Darm-Thematiken zutun. Dass auch eine Allergie das Problem sein könnte, wird hier nicht immer auf Anhieb festgestellt.

Und zuhause vielleicht auch mal das ein- oder andere Lebensmittel weglassen?

Natürlich kann man sich im Vorfeld auch ein bisschen selbst ausprobieren – und das Brot einfach mal weglassen. Und prüfen, ob die Beschwerden verschwinden. Wir sprechen da von der sogenannten Symptombeobachtung. Ich rate meinen Patienten immer, ruhig ein kleines Ernährungs- und Symptom-Protokoll zu führen, um den Inhaltsstoff oder das Produkt, das Probleme macht, möglichst schnell zu „überführen“.

Sie haben in der Klinik mit Patient:innen zu tun, die schon eine fertige Diagnose bekommen haben…

Ich berate diese Patienten dann, wie sie sich am besten ernähren. Sind die Menschen bei uns in der Klinik, bespreche ich mich zum Beispiel mit der Küche, damit ihnen die richtigen Gerichte zubereitet werden. Gluten ist hier natürlich ein heißes Thema. Wer das als Patient nicht verträgt, bekommt dann eben glutenfreie Kost.

Haben Sie für uns alle Tipps, was den nächsten Besuch im Supermarkt angeht?

Grundsätzlich gilt:

Wer keine Symptome hat, muss auch nicht künstlich irgendwelche Inhaltsstoffe meiden!

Was auch nichts bringt, ist es, einen Bogen um bestimmte Produkte zu machen, nur um später keine Allergie zu entwickeln. Das legen auch zahlreiche Studien nahe: Wer eine Allergie bekommt, und wer nicht, das lässt sich nicht beeinflussen.

Deswegen die Frage: Kann man eine Allergie wieder loswerden?

Leider nein. Aber: Leidet ein Patient aber an einer sogenannten kreuzassoziierten Lebensmittelallergie, besteht Hoffnung, dass sich Symptome lindern lassen. Das sind zum Beispiel Fälle von Pollenallergikern, die auch unter einer Lebensmittelallergie leiden. Wird nun die Pollenallergie zum Beispiel anhand einer Hyposensibilisierung erfolgreich behandelt, besteht die Chance, dass die Lebensmittelallergie dadurch auch gedämpft wird. Allerdings gibt es hierfür keine Garantie. Eine gute Nachricht ist, dass man die Symptome von Allergien behandeln kann, zum Beispiel mit Antihistaminika. Das ist natürlich besonders dann wichtig, wenn diese schwerwiegend sind. Die ganz jungen Patienten unter uns haben allerdings eine gute Chance, dass sich eine Unverträglichkeit mit zunehmendem Alter, meist bis zum Eintritt ins Schulalter, verwächst.

Man kann sich aber nicht grundsätzlich anhand einer besonders guten Ernährung quasi vor Allergien oder Intoleranzen „schützen“?

Wie sooft gilt: Möglichst viel selbst kochen! Manche Menschen entwickeln Intoleranzen auf Konservierungs- oder auch Süßstoffe. Solche Stoffe sind in stark verarbeiteten Lebensmitteln häufig und oftmals in hoher Konzentration enthalten. Deswegen also:

Je weniger verarbeitet ein Lebensmittel ist, also je weniger „fertig“ es ist, desto besser ist es für unseren Darm und unsere Gesundheit.

Deswegen rate ich allen: Möglichst viel selbst in der Küche „schnippeln“ und in den Topf schmeißen! Je länger es in der Küche dauert, desto besser!


Ihr Experte für gesunde Ernährung:

Tobias Trautvetter
Klinik für Innere Medizin/Gastroenterologie und Endokrinologie
Diplom-Trophologe, Ernährungsberater/Diabetesberater (DDG) an der Zentralklinik Bad Berka