An die Grenzen gehen

An die Grenzen gehen

Radsportler Fabian Käßmann  kämpft gerade den schwersten Kampf seines Lebens.

Ein junger Mann im blauen Trikot strahlt in die Kamera. Er steht auf dem obersten Treppchen, gemeinsam mit Teamkameraden. Das Foto von Fabian Käßmann ist nur wenige Monate alt. Es erzählt von seinem geliebten Sport und von ihm. Fabian, dem fröhlichen Jungen, dem beliebten Kameraden, dem ambitionierten Sportler, der immer ein Teamplayer war.

Radsportler Fabian Käßmann
Bildquelle: Michael Schulz

Mit zwölf begann er mit dem Radsport. Auch nach dem Abi an der Erfurter Sportschule blieb er dabei, zudem begann er in Jena ein Studium in Sportmanagement und Wirtschaftswissenschaft.  Er wurde Mitglied des Teams P&S-Metalltechnik und bot Anlass zu den schönsten Hoffnungen. Mit seinen Jungs, betreut von Trainer Lars Wackernagel, trainierte er hart. Ende Mai startete das Team bei der Luxemburg-Rundfahrt. Dort kam es am 1. Juni auf den letzten 500 Metern der vorletzten Etappe beim Schlussspurt zu einem Massenunfall. Um den zu umfahren, drifteten dutzende Fahrer bei voller Geschwindigkeit nach rechts, erzeugten dabei eine Welle, einen Sog. Der drückte Fabian, der ebenfalls im Schluss-Spurt und etwa 60 Stundenkilometer schnell war, an den Bordstein, von dort flog er frontal an einen Laternenmast. Der Helm flog weg und in Fabians Kopf brachen in dieser Sekunde so ziemlich alle Knochen. Die Schädelbasis, die Jochbeine, die Kieferknochen. Das Gesicht wurde zertrümmert, es kam zu  Einblutungen ins Gehirn. Auch ein Brustwirbel brach. Kann man einen solchen Unfall überleben?

Fabian hat an den Unfall keinerlei Erinnerungen. In den ersten Minuten, als er blutend auf dem Pflaster lag und seine Leute zu ihm sprinteten und beteten, dass er noch am Leben war, da war er noch bei Bewusstsein. Im Rettungswagen kollabierte er. Im Krankenhaus in der Stadt Luxemburg versetzten ihn die Ärzte sofort in ein künstliches Koma.

„Fabian ist sehr schwer verunglückt“. Der Anruf in Greiz änderte auf einen Schlag das Leben der ganzen Familie. Die Eltern ließen alles stehen und liegen und fuhren nach Luxemburg. Fabian lag mit einem extrem geschwollenen Kopf und einer Trachealkanüle im Hals auf der Intensivstation.

Leben wollen. Kraft sammeln. Wieder auf die Beine kommen. Und an die Zukunft glauben. Das wünschen die Käßmanns ihrem Sohn und mobilisieren dafür alle Energie. Mutter Andrea weicht seit Wochen nicht von seiner Seite, Vater Jan hält zuhause in Greiz alles am Laufen und ist ständig für seinen Sohn erreichbar. Fabian hat seit dem 1. Juni 20 Kilo abgenommen,  er kämpft um das Augenlicht auf seinem rechten Auge. Er kämpft mit Schwäche, Übelkeit. Aber er kämpft.

„In einer solchen Situation ist es wichtig, auf empathische Ärzte und Schwestern zu treffen, einbezogen zu werden. Zuspruch zu bekommen und Ermutigung“, sagt Andrea Käßmann und Fabian nickt. „Das wurde uns in Bad Berka zuteil. Die ganze Station nimmt Anteil.“ Sie ist auch sehr froh über das Engagement des Sozialen Dienstes der Zentralklinik Bad Berka und über die unkomplizierte Hilfe der Krankenversicherung.

Genauso wichtig wie die medizinische Hilfe ist das Umfeld. Die Familie. Fabians Freundin Lilly, die für ihn wie ein Fels in der Brandung ist. Verwandte und Bekannte. Und das Team. Als Fabian nach den Wochen im Koma das Bewusstsein zurückbekam und das Handy anstellte, warteten 2600 Whatsapp-Nachrichten auf ihn. „Sie vorzulesen gibt Kraft“, findet seine Mutter.

Ein Team gewinne gemeinsam und verliere gemeinsam, sagt Trainer Lars Wackernagel. „Fabian fehlt uns gerade sehr. Er ist ein prima Typ. Freundlich, hilfsbereit. Ein Fahrer, der sich sehr gut entwickelte.“ Deshalb stünde jetzt die ganze Truppe zusammen, um Fabian Kraft zu geben. Seine Erfurter Teamkollegen schicken ihm kleine Filme, nehmen ihn jedes Mal in ihren Gedanken mit auf ihre Touren. „Bleib dran, Käsi“. „Du packst es.“ „Wir halten deinen Platz für dich frei.“ Vor einigen Tagen kamen sie mit den Rädern nach Bad Berka. Für sie hievte er sich aus dem Rollstuhl, saß mit ihnen ein paar Minuten in der Cafeteria des Klinikums.

Mittlerweile wurde Fabian von Bad Berka in eine Spezialklinik nach Kreischa verlegt, wo eine langwierige Reha auf ihn wartet. Sein Ziel: Er möchte irgendwann wieder ein normales Leben leben. Und er möchte wieder aufs Rad.

„Ich habe damals diesen Sport gewählt, weil er ein wunderbarer Mannschaftssport ist. Und weil man an seine Grenzen gehen muss“, sagt er leise. „Das hat sich nicht geändert.“

Seine Freunde, sein Team  bestärken ihn. Zu seiner Talismann-Sammlung, die im Krankenhaus immer weiter wuchs, gehört ein Teddy im Teamtrikot.

„Der Unfall ist passiert, es lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Ich muss jetzt durch diese Zeit durch“, weiß der 20-Jährige. Er hat verfolgt, wie sich Radsportlerin Kristina Vogel nach einem schweren Unfall zurück ins Leben kämpfte. „Wir kennen uns gut. Was sie jetzt geschafft hat, motiviert mich“, sagt der junge Mann. Er dankt seiner Familie, den Ärzten, Schwestern, Pflegern, Physiotherapeuten.

Fabian hat noch einen weiten Weg vor sich. Er weiß, wie wichtig es ist, dass man an sich selber glaubt und dass auch andere das tun. Auf seinem Tisch liegt das Trikot, das ihm die Luxemburger Rennveranstalter geschickt haben:  Es ist das Rosa Trikot für den besten Kämpfer.