„Schaufensterkrankheit“: So kann Gefäßverkalkung behandelt werden

„Schaufensterkrankheit“: So kann Gefäßverkalkung behandelt werden

Krankhafte Gefäßveränderungen können Menschen in ihrem Alltag massiv beeinträchtigen. Spätestens dann, wenn es den Betroffenen nicht mehr möglich ist, wenige hundert Meter ohne Schmerzen zu gehen, ist es an der Zeit, einen Spezialisten aufzusuchen.

Einer von ihnen ist Arzou Agaev. Er ist Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie des RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt, die zu den leistungsstärksten Einrichtungen in Deutschland zählt. Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog erklärt der Experte, was man unter der bei Durchblutungsstörungen oft diagnostizierten „Schaufensterkrankheit“ versteht, wer besonders betroffen ist – und wie man das Leiden bestmöglich behandelt.

Schmerzen in den Beinen, nicht mehr unbegrenzt beschwerdefrei laufen können – hierüber klagen Patientinnen und Patienten von Arzou Agaev. Er ist Gefäßchirurg und weiß aus Erfahrung, dass der Grund für dieses weit verbreitete Leiden oftmals Durchblutungsstörungen sind. Diese wiederum sind die Folge von Gefäßerkrankungen, die eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland darstellen.

Spricht man mit Herrn Agaev über diese Gefäßerkrankungen, taucht ziemlich schnell der Begriff „Periphere Arterielle Verschlusserkrankung“, kurz: pAVK, auf. Und mit dem Begriff auch der häufig gebrauchte Ausdruck „Schaufensterkrankheit“, der darauf anspielt, dass Betroffene aufgrund ihres Beinschmerzes vor Schaufenstern stehenbleiben, um Passanten über den wahren Grund ihres Stehenbleibens zu täuschen. Meistens aus Scham.

Diagnose: Periphere Arterielle Verschlusskrankheit

„Aus Sicht der Medizin“, sagt der Arzt, „handelt es sich hier um eine Gefäßverkalkung, die über Monate und Jahre voranschreitet und dann zum chronischen oder akuten Verschluss der Schlagader führt“. Wenn solche Verengungen oder Verschlüsse entstehen, können zum Beispiel die Beine über das Blut nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden, was für Betroffene weitreichende Konsequenzen haben kann. Zudem geben Durchblutungsstörungen der Beine den Ärzten oftmals einen Warnhinweis auf eventuell gleichzeitig vorhandene Erkrankungen der Gefäße in lebenswichtigen Organen, wie etwa Herz, Gehirn und Niere.

Wird nicht rechtzeitig ärztlich behandelt, kann unter Umständen sogar eine Amputation von Zehen, Fuß, Unterschenkel oder des ganzen Beins drohen. Und weil Durchblutungsstörungen natürlich nicht auf die Arterien der Beine beschränkt sind, können gleichzeitig auch die Herzkranzgefäße oder die hirnversorgenden Gefäße betroffen sein. Das bedeutet, dass Menschen mit Durchblutungsstörungen in den Beinen auch dem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.

Kosename: „Schaufensterkrankheit”

Von dem, was man als „Schaufensterkrankheit“ bezeichnet, sind mittlerweile nicht mehr hauptsächlich Männer, sondern zunehmend auch Frauen betroffen, sagt Arzou Agaev. Die Risikofaktoren sind Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes mellitus, Rauchen – und das Alter an sich. Alter und Geschlecht lassen sich natürlich nicht beeinflussen, sagt Herr Agaev, „aber alle anderen schon!“ Durch einen gesunden Lebensstil nämlich.

Die schlechte Nachricht: Wenn ein gewisser Punkt im Verlauf der Krankheit überschritten ist, ist diese unheilbar, sagt der Arzt. Denn dann handelt es sich um einen chronisch voranschreitenden Prozess. Nach dem Besuch eines Gefäßchirurgen seien die Patientinnen und Patienten bestenfalls beschwerdefrei: „Aber die Neigung der Gefäße zu verkalken ist im Patienten selbst angelegt“, sagt Arzou Agaev. Viele Patientinnen und Patienten mit Durchblutungsstörungen kommen immer wieder zu uns in die Klinik zurück, erzählt er. Oftmals gebe es bei ihnen über die Jahre an vielen verschiedenen Stellen Probleme, „am rechten Bein, am linken Bein, am Oberschenkel, am Unterschenkel“.

Erfolgsrezept: Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Eben weil eine Heilung irgendwann nicht mehr möglich ist, gilt in diesen Fällen, das Voranschreiten der Krankheit möglichst effektiv aufzuhalten. Um diesem Ziel näher zu kommen, ist es wichtig, sich als Betroffener auf die Risikofaktoren zu konzentrieren. Die Betroffenen sollten sich vor allem vom Rauchen verabschieden, rät der Arzt. Den Rest versuchen er und sein Team in den Griff zu bekommen. Ein Teil des Erfolgsrezepts lautet interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Hausärztinnen und -ärzten der betroffenen Menschen, aber auch mit Kardiologen, Neurologen, Diabetologen und Nephrologen: „Wir alle zusammen kümmern uns um die Patientinnen und Patienten“, sagt Arzou Agaev, „das weitet den Blick“.

Um den Grad der Betroffenheit einordnen zu können, hat die Medizin die arterielle Verschlusserkrankung in vier Stadien eingeteilt. Im ersten, sagt der Arzt, weise der Patient noch keine klinische Symptomatik auf. Die Gefäßverschlüsse würden hier meist beiläufig entdeckt, während sich die Person wegen einer anderen Erkrankung einer Untersuchung unterziehe. Stadium zwei beschreibt dann die eigentliche „Schaufensterkrankheit“, die sich dadurch auszeichnet, dass die Durchblutung der Muskulatur nicht mehr ausreicht, um die Muskeln adäquat mit Sauerstoff zu versorgen. Bei Belastung schmerzen diese dann, weswegen Betroffene während des Gehens plötzlich stehenbleiben.

In Stadium drei ist die Durchblutung dann derart schlecht, dass die Muskulatur betroffener Patientinnen und Patienten selbst beim Liegen auf der Couch Schmerzen verursacht. In Stadium vier schließlich kommt es durch die chronische Minderdurchblutung zur Ausbildung eines Gewebedefektes, also zu Geschwüren oder zum Absterben von Gewebe, aus dem eine Schwarzverfärbung von Gliedmaßen folgt, sagt Experte.

Die Ursache, nicht die Symptome müssen behandelt werden

Wichtig ist, dass eine schwarze Zehe oder ein ganzer schwarzer Fuß von einem Chirurgen nicht pauschal amputiert wird, sondern die Situation der Durchblutung vorab sorgfältig medizinisch geprüft wird. „Zuallererst sollten die Gefäßfachleute einen Blick drauf werfen und sorgfältig die Durchblutungssituation der Beine überprüfen“, sagt Agaev. In vielen Fällen ließen sich Gliedmaßen mit einer Gefäßoperation noch retten. Wichtig ist grundsätzlich, immer die Ursache zu behandeln. Und das Auffinden dieser braucht manchmal eben ein wenig Zeit.

Wann nun sollte die „Schaufensterkrankheit“ überhaupt behandelt werden?
„Grundsätzlich schauen wir uns das Beschwerdebild der Patientin oder des Patienten an, dann entwickeln wir unser auf die Person individuell abgestimmtes Behandlungskonzept“, sagt der Gefäßchirurg: „Wenn bei der betroffenen Person die Beschwerden erst nach 800 Metern oder 1.200 Metern Gehen auftreten, müssen wir nicht gleich unter Vollnarkose operieren und einen Bypass anlegen. Das wäre unverhältnismäßig“, sagt der Arzt.

In so einem Fall rät er, zunächst Risikofaktoren, wie eben das tückische Rauchen, in den Griff zu bekommen und jeden Tag ein Gehtraining zu absolvieren. Bei diesem gehe man „bis zur Schmerzgrenze“, bleibe dann stehen und mache fünf Minuten Pause, wodurch der Muskel sich erholen kann. „Dann läuft man wieder, bis es anfängt wehzutun. Dann macht man wieder eine Pause.“ Dieses Prozedere sollte die Patientin oder der Patient jeden Tag eine Stunde lang durchspielen. Auf diese Weise wird es dem Körper möglich gemacht, eigene Umgehungskreise seiner Verschlussprozesse auszubilden, sagt Agaev: „Im Idealfall führt das dazu, dass sich die Wegstrecke, die man schmerzfrei gehen kann, mehr als verdoppelt.“

Operative oder interventionelle Therapie

Bei einer schmerzfreien Gehstrecke von weniger als 200 Metern wird eine operative oder interventionelle Therapie empfohlen. Dies trifft zwar für viele Betroffene zu, aber schlussendlich muss jeder individuell betrachtet werden, sagt der Experte. So gebe es zum Beispiel Menschen, die früher einmal Marathon gelaufen sind und aktuell trotz ihres hohen Alters täglich noch immer fünf bis zehn Kilometer laufen. Gerade für solche Personen sei eine schmerzfreie Gehstrecke von nur noch 1.000 Metern dann natürlich unerträglich. Aufgrund des sehr hohen Leidensdrucks wünschen sich diese Betroffene meistens auch eine Therapie ihrer pAVK, um dann auch wieder die gewünschte Strecke laufen zu können.“ Insofern sei die Therapieindikation immer auch vom persönlich empfundenen Leidensdruck eines Menschen abhängig.

Grundsätzlich, sagt der Experte, zeichne sich eine gute Gefäßchirurgie nicht nur durch operative Expertise aus, sondern auch durch die im Vorfeld stattfindende Prophylaxe und die nach der Operation stattfindende Nachsorge, „also das, was wir in unserer Sprechstunde mit den Patientinnen und Patienten besprechen und wie wir sie untersuchen“. In eben diesen Bereichen sind er und sein Team auch auf die Kolleginnen und Kollegen angewiesen, die Agaev „seine Partner“ nennt: Ärztinnen und Ärzte vor Ort und aus verschiedenen Fachbereichen: „Es geht um das, was ich‚ Therapie aus einem Guss‘ nenne, dass wir uns alle gemeinsam um die betroffenen Menschen kümmern.“

Ihr Experte für Durchblutungsstörungen:
Arzou Agaev
Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie des
RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt