Die Klinik für Kinderkardiologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen gehört zu den ältesten und traditionsreichsten Einrichtungen ihrer Art in Deutschland. Geholfen wird hier Patienten, die mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt gekommen sind. Trotz des Namens kümmern sich die Experten hier nicht nur um Kinder, sondern diagnostizieren und behandeln Patienten aller Altersstufen, angefangen beim Ungeborenen bis hin zum älteren Erwachsenen.
„Unser Spektrum beginnt mit der Beratung der Eltern eines Ungeborenen und erstreckt sich über die Behandlung schwerer Herzfehler bis hin zum Einsatz von Kunstherzen und Herztransplantationen”, sagt Professor Dr. Christian Jux, Chefarzt der Abteilung Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler, im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog anlässlich des Weltherztags.
Das alles ist unter einem Dach mit einem hochspezialisierten Team möglich. Die Zusammenarbeit ist hier besonders eng und intensiv, sagt der Mediziner, der im Lauf seines Berufslebens schon an fünf verschiedenen Universitätskinderkardiologien gearbeitet hat.
„Ein wesentlicher Vorteil ist, dass wir als Kinderherzzentrum ein eigenes Gebäude haben, wo auf drei Ebenen alles kompakt beieinander ist und gleichzeitig eine Anbindung an die Kinderklinik beziehungsweise das Zentralklinikum gegeben ist”, sagt er. Das ist schon deshalb wichtig, weil ein Teil der hier behandelten Kinder Erkrankungen haben, bei denen nicht nur das Herz, sondern auch andere Organe betroffen sind.
Herr Professor Jux, wie häufig kommen Herzfehler eigentlich vor?
Der Herzfehler ist die häufigste angeborene Organfehlbildung. Ungefähr ein Prozent der Lebendgeborenen kommen mit einem solchen zur Welt. Bei 700.000 bis 800.000 Lebendgeburten in Deutschland lässt sich errechnen, dass jährlich zwischen 7.000 und 8.000 Kinder neu betroffen sind.
Wie kommen die Betroffenen dann auf Sie als Spezialisten?
Viele Neugeborene werden uns bereits durch die Geburtskliniken zugewiesen, zumal ein immer größerer Anteil der komplexen Herzfehler bereits pränatal bekannt sind. Zum anderen überweisen uns niedergelassene Kollegen Kinder, bei denen die Abklärung eines Herzgeräusches einen angeborenen Herzfehler ergeben hat. Darunter sind auch ältere Kinder, die dann in der Regel einen weniger schlimmen Herzfehler oder neu aufgetretene Herzrhythmusstörungen oder erworbene entzündliche Herzerkrankungen haben.
Sind das in der Regel Herzfehler, die unbedingt behandelt werden müssen?
Nicht unbedingt. Es gibt mildere Varianten, zum Beispiel kleine Löcher in der Herzscheidewand, die nur beobachtungspflichtig sind und die von alleine zuwachsen können. Dann gibt es eine Reihe von Herzfehlern, die wir meist im Vorschulalter behandeln. Davon abzugrenzen sind die bedeutsamen Herzfehler, die schon in der ersten Lebenswoche oder dem ersten Lebensmonat einer Behandlung durch Kathetertechnik oder einer Operation bedürfen.
Wie kann man sich die Erstuntersuchung hier vorstellen?
Bei einer ambulanten Kontrolle erheben wir zunächst die Krankheitsgeschichte, untersuchen den Patienten körperlich sowie anhand von EKG und Herz-Ultraschall. Mit diesen drei „Werkzeugen“ können wir schon den größten Teil der Herzfehler einordnen. Das sind oftmals Kinder, wo etwas am Bauplan des Herzens, also zum Beispiel an den Herzwänden oder Herzklappen, defekt ist. Darüber hinaus gibt es noch die bekannten Herzrhythmusstörungen, die wir anhand des EKG diagnostizieren. Diese Untersuchungen tun prinzipiell nicht weh, sind aber bei den kleinen Kindern Patienten oftmals trotzdem angstbesetzt.
Wie hoch sind die Erfolgsaussichten bei einer Behandlung?
Das hängt sehr stark von der Art des Herzfehlers ab. Die einfachsten sind solche, die nur beobachtungspflichtig sind. Hier geht es zum Beispiel um die schon erwähnten kleinen Löcher, die von alleine zuwachsen oder die so klein bleiben, dass sie den Herzkreislauf auch über Jahre und Jahrzehnte hinweg nicht bedeutsam belasten. Daneben gibt es aber auch größere Löcher in den Herzwänden oder Herzklappenerkrankungen, die man mit einer Operation oder einem Kathetereingriff gut behandeln kann. Schwerwiegender sind alljene komplexen Herzfehler, wie zum Beispiel „Einkammerherzen“, die mehrmalig schon im Neugeborenen- oder Kleinkindalter operiert werden müssen und die die Kinder dann lebenslang begleiten.
Bei wie vielen Patienten ist der Herzfehler schwerwiegend?
Grob vereinfachend kann man sagen, ungefähr ein Drittel sind nur beobachtungspflichtig oder können durch einen einmaligen Eingriff praktisch ein normales Leben führen. Ein weiteres Drittel braucht im Laufe des Lebens mehrfache Eingriffe, hat aber eine nahezu normale Lebensqualität und Lebenserwartung. Das dritte Drittel braucht voraussehbar schon nach der Geburt wiederholte Eingriffe. Die betroffenen Patienten haben dann oft eine statistisch reduzierte Lebenserwartung bei zumeist guter Lebensqualität, sind aber im Hinblick auf maximale körperliche Aktivitäten, zum Beispiel im Sport oder Berufsleben, teilweise eingeschränkt.
Die Kinderherzklinik ist sehr breit aufgestellt. Welche Fachbereiche sind besonders relevant für die Versorgung Ihrer jungen Patienten?
Die wichtigsten Grundbausteine sind die Kinderherzchirurgie und die Kinderkardiologie. Wenn es um Operationen geht, spielen aber natürlich auch andere Fachbereiche, wie etwa die Anästhesie, eine wesentliche Rolle. In Gießen gibt es sogar eine spezielle Sektion für Kinderherz-Anästhesie. Von Bedeutung sind aber auch die Radiologie und die Innere Medizin sowie Gynäkologie/Geburtshilfe bzw. Pränatalmedizin. Überall dort arbeiten Kollegen, die hochspezialisiert sind auf ihren jeweiligen Bereich.
Welche Bedeutung hat die Pränataldiagnostik für Ihre Tätigkeit?
Das sind für uns hier ganz entscheidend wichtige Kooperationspartner, weil ein großer Teil der sehr komplexen Herzfehler, die einen Menschen vom Kindesalter an ein ganzes Leben lang begleiten, schon vor der Geburt diagnostiziert werden.
Sie kümmern sich trotz des Namens „Kinderherzklinik“ allerdings nicht nur um Kinderherzen…
Nein. Darüber hinaus sind wir ein zertifiziertes überregionales Zentrum für Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EMAH) und arbeiten hier eng mit der Klinik für Kardiologie und Angiologie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg am Standort Gießen zusammen.
Ihr Experte zum Thema angeborene Herzfehler
Professor Dr. Christian Jux
Chefarzt der Abteilung Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler
Universitätsklinikum Gießen & Marburg, Standort Gießen