Operation Takeover: Pflege-Azubis proben den „Ernstfall“

Operation Takeover: Pflege-Azubis proben den „Ernstfall“

Theorie ist das eine, Praxis das andere. Dass das kein plattes Sprichwort ist, haben die Auszubildenden der Campus-Akademie des RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt kürzlich sehr direkt erfahren können.

Im Rahmen einer Projektwoche hat Kurs 54 nämlich sieben Tage lang eine normalerweise von etablierten Kolleg:innen geführte Pflegestation übernommen. Die Damen und Herren, die nach zweieinhalb Jahren Ausbildung in wenigen Monaten ihren Abschluss machen, waren also zum ersten Mal fast komplett auf sich alleine gestellt. Ein Experiment, das Liebe zum Patienten, Teamgeist und Geduld gefordert hat, sagt die Leiterin der Campus-Akademie, Katrin Manzau, im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog.

Vorweg geschickt: Die sogenannte Generalistische Pflegeausbildung besteht grundsätzlich aus Theorie und Praxis, wobei der theoretische Teil 2.100 Stunden über 3 Jahre hinweg umfasst, der praktische Teil mindestens 2.500 Stunden, erzählt die Chefin. Konzipiert ist das Ganze als Blocksystem: Zunächst gibt es 4-5 Wochen am Stück theoretischen Unterricht, und dann kommt die Praxis. Nach bestandener Abschlussprüfung dürfen sich die Auszubildenden dann „Pflegefachfrau“ bzw. „Pflegefachmann“ nennen.

Der praktische Teil der Ausbildung findet hauptsächlich am RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt statt, darüber hinaus auch ca. 400 Stunden in der ambulanten Langzeitversorgung im Umland, also in Sozialstationen. Weitere 400 Stunden verbringen die Schüler:innen in der stationären Langzeitversorgung, also Altenheimen. Hinzu kommen jeweils 120 Stunden in der psychiatrischen Versorgung sowie in der Versorgung von Kindern. In all diesen Bereichen verfügt die Campus-Akademie über Kooperationspartner.

Projektwoche im Detail

Was aber genau ist nun am Morgen des 5. März 2022 passiert? Die Idee zum Ausbildungs-Projekt „Schüler übernehmen eine Station“ hatten die Leiterin der Campus-Akademie, Katrin Manzau, und die angehende Pflegepädagogin Lena Hodermann. Erklärtes Ziel der beiden war, Auszubildenden die Arbeit als Pflegekraft näher zu bringen. Was für die Schüler Folgendes bedeutet: Patient:innen selbstständig betreuen, pflegen – und während dieses Arbeitsalltags jede Menge wichtige Entscheidungen treffen.

Das Team hat unter anderem gelernt, die eigene Zeit sinnvoll einzuteilen und einen Gesamtüberblick über die oft ziemlich komplexen Abläufe in der Station der Neurologie und Neurochirurgie zu bekommen. Auch Sandra Henek, Geschäftsführende Direktorin am RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt, Chefärzte und die Pflegekräfte haben die innovative Idee von Anfang an unterstützt, erzählt Katrin Manzau.

Die Aufgaben im Detail

Nach der Übergabe der Station an die Auszubildenden standen der erste Rundgang durch die Zimmer und zahlreiche Aufgaben an: Die Patient:innen bei der Körperpflege und beim Frühstücken zu unterstützen, Verbandswechsel, Ärzt:innen assistieren, Fahrten zu Untersuchungen organisieren. Ganz nebenbei ging es natürlich immer auch um mentalen Beistand für die Erkrankten, die derzeit aufgrund der Corona-Situation noch kein Besuch von Angehörigen empfangen dürfen.

Die ganze Bandbreite an Dienstleistungen ganz ohne etablierte Mitarbeiter als Hilfestellung – das war eine große Herausforderung für die jungen Damen und Herren. Nur ein sogenannten „Praxisanleiter“ sowie ein Mitglied des regulären Stationsteams beäugte das Handeln des jungen Teams dezent aus dem Hintergrund. „Hier geht es vor allem um eines: Selbstständige Führung“, sagt Katrin Manzau.

Planbar sei allerdings natürlich nicht alles: Wir alle haben es hier mit Menschen zutun, die ab und zu vielleicht etwas überraschend reagieren. Da wären zum Beispiel spontane Gespräche zwischen Pflegerin und Patient. Auch wenn sie immer nett sind, können sie den zeitlichen Ablauf auf Station tüchtig durcheinanderbringen. In solchen Situationen sind dann menschliches Einfühlungsvermögen und Teamgeist gefragt.

Was auch die zwanzigjährige Sina Mayer bestätigen kann, die Teil des „Übernahme-Teams“ war:

„Die Organisation war am Anfang ganz schön schwierig. Man merkt normalerweise gar nicht, was die Schwestern im regulären Betrieb im Hintergrund so alles mitdenken und managen. Aber von Tag zu Tag haben wir das besser hinbekommen.“

Und auch ihr neunzehnjähriger Kollege, Pflegeschüler Leon Müller, empfand das Projekt als gute Vorbereitung auf den Berufsalltag, in den er und seine Kolleg:innen schon bald starten.

Überhaupt ist Sina ihr Tatendrang deutlich anzumerken: „Man brennt jetzt richtig darauf, fertig zu werden, um das alles selbst machen zu können“, sagt sie.

Ihren Beruf liebt sie, weil nicht jeder Tag auf Station gleich sei und sie den Kontakt mit Menschen mag. Der Dank und die Wertschätzung durch ihre Patient:innen treibe sie immer wieder neu an.

Positives Feedback

Dass diese sich vom neuen Pflegeteam offensichtlich auch gut betreut gefühlt haben, lässt sich anhand des positiven Feedbacks ablesen, das Katrin Manzau von den erkrankten Menschen bekommen hat. Fragebögen haben dem jungen Stationsteam eine große Zufriedenheit bescheinigt. Die Patient:innen hätten sich nicht nur fachlich, sondern auch menschlich gut aufgehoben gefühlt, sagt die Leiterin der Campus Akademie.

Und die verweist auch auf zwei sterbende Menschen, die die Auszubildenden während ihres Dienstes betreut haben. Und das auf eine Weise, die Katrin Manzau menschlich berührt hat: „Meine Schüler:innen haben sogar Kerzen aus der Palliativstation geholt, um es den beiden Patienten so schön wie möglich zu machen und ihnen einen würdigen Abschied von dieser Welt zu ermöglichen. Gerade auch die Angehörigen haben dieses Kümmern als etwas Besonderes und Herzliches empfunden“, sagt sie.

Überhaupt habe sie eine derartig hohe soziale Kompetenz eines Auszubildenden-Teams in ihrer Laufbahn zuvor noch nie erlebt: „Und das, obwohl ich an anderen Schulen schon einige ähnliche Projekte durchgeführt habe“, sagt sie: „Wenn es bei Kurs 54 Schwierigkeiten gegeben hat, haben sich die betroffenen Teammitglieder nach dem Dienst zusammengesetzt, sich als Moderator eine Lehrkraft aus der Schule dazu geholt – und dann haben sie die Probleme aus der Welt geräumt, ganz alleine und ohne professionelle Hilfe etablierter Kolleginnen. Das fand ich wirklich cool!“, sagt Manzau.

Nach ihrem anstrengenden Arbeitstag haben die Auszubildenden ihr Projekt außerdem noch auf Instagram begleitet und interessierten Menschen auf diese Weise nähergebracht, wie anstrengend, aber eben auch interessant und erfüllend solch ein Job als Pflegekraft sein kann.

Auf die Frage nach den Übernahmechancen der jungen Menschen antwortet Katrin Manzau: „Sie bleiben alle da. Wir übernehmen alle. Und das freut mich sehr.“

Ihre Ausbildungsexpertin:
Katrin Manzau
Campus-Akademie am RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt