Covid-19: Wie ein Lungenexperte die aktuelle Lage einschätzt

Covid-19: Wie ein Lungenexperte die aktuelle Lage einschätzt

Dr. Michael Weber ist Chefarzt der Klinik für Pneumologie an der Zentralklinik Bad Berka. In Zeiten von Corona ist die Expertise seines Teams gefragter denn je. Neben Hausarzt-Praxen weisen auch andere Krankenhäuser ihre Patienten in seine Lungenklinik ein. Besonders diejenigen, die in den vergangenen Monaten mit schweren Fällen von Covid-19 zu tun hatten, haben Dr. Webers Spezialzentrum um Hilfe gebeten, um das Überleben der betroffenen Patienten zu sichern.

Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog erklärt der Lungenexperte unter anderem, was sein in die Klinik integriertes Weaning-Zentrum für Patienten tun kann.

Herr Dr. Weber, was macht die Lunge so besonders im Hinblick auf Covid-19?

Die Lunge als Organ ist quasi die Eintrittspforte unseres Körpers für das Coronavirus. Um zu erkranken, muss man die Viren einatmen. Zwar wird in der Presse auch immer wieder über Schmierinfektionen debattiert. Das halte ich aber für bloße Theorie. Unter Fachleuten ist man sich zumindest einig, dass diese Schmierinfektionen, wenn überhaupt, in Bezug auf Covid-19 eine verschwindend geringe Rolle spielen.

Hin und wieder kann man lesen, dass neben älteren Menschen vor allem Raucher und Männer besonders gefährdet seien, an Covid-19 zu erkranken. Können Sie diese These stützen?

Das kann man so nicht bestätigen. Was wir wissen ist, dass Menschen mit einer Lungenvorerkrankung schwerere Verläufe von Covid-19 nehmen können.

Also wenn die Lunge zum Beispiel durch Rauchen schon geschädigt worden ist, und der Patient dann zusätzlich eine Infektion mit dem Coronavirus erleidet?

Wenn in solch einem Fall der Hauptaustragungsort dieser Infektion tatsächlich die Lunge ist, ist ein schwererer Verlauf möglich, und auch die Gefahr zu sterben ist in diesem Fall höher. Was wir auch wissen ist, daher liegt die Sterblichkeitsrate bei älteren Menschen auch höher.

Wie alt sind Ihre Covid-19-Patienten durchschnittlich?

Die meisten sind zwischen 20 und 45 Jahren. Das widerspricht so mancher aktueller These, und nebenbei bemerkt sind von unseren Covid-19-Patienten sicher auch nicht alle Raucher.

Wie sieht Ihre derzeitige persönliche Bilanz als Arzt im Hinblick auf Covid-19 aus?

Wir haben hier in Thüringen mit einem großen Ansturm von Patienten gerechnet, ähnlich dem in Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Die positive Nachricht ist, dass diese Welle hier bis heute ausgeblieben ist. Wir hatten sehr schwer erkrankte Covid-19-Patienten, die zum Teil auch eine Lungenersatz-Behandlung gebraucht haben.

Was bedeutet das konkret?

In diesen Fällen ist die Lunge so schwer erkrankt, dass man die Patienten noch nicht einmal mit einem künstlichen Koma und einer Beatmung hätte am Leben halten können. Hier muss der Sauerstoffaustausch über Maschinen gewährleistet werden. Wir haben auch junge Leute behandelt, die keine schweren Vorerkrankungen und trotzdem schwere Covid-19-Krankheitsverläufe hatten. Zum Glück hat es hier in Deutschland nicht diese extrem hohe Sterblichkeitsrate wie zum Beispiel in Italien gegeben.

Welche Erfahrungen haben Sie sonst noch gemacht?

Bei vielen Patienten ist mir aufgefallen, dass sie sich trotz schwerster Formen von Lungenversagen völlig überraschend nach vier bis sechs Wochen plötzlich wieder besser gefühlt haben und genesen sind. Man muss also Ausdauer haben.

Ist das Schlimmste überstanden, kommt Ihr zertifiziertes Weaning-Zentrum ins Spiel. Was kann man sich darunter vorstellen?

Menschen, die über Wochen in einem künstlichen Koma sind und dort künstlich beatmet werden, liegen natürlich auch die ganze Zeit in ihrem Bett, wodurch ihre Muskulatur stark abbaut. Sie haben dann, wenn sie aus dem Koma geholt werden, kaum noch Kraft, selbstständig zu atmen. Dann beginnt das eigentliche Weaning, bei dem man versucht, über Trainingsprogramme die Muskulatur des Patienten wieder aufzubauen und sie so weit entwickelt, dass die künstliche Beatmung bald nicht mehr notwendig ist.

Wie lange dauert diese Behandlung?

Wenn Menschen durch eine Lungenvorerkrankung auf eine Infektion wie dem Coronavirus schon schlecht vorbereitet sind, kann die Situation durchaus problematisch sein, wodurch das Weaning sich auf sechs bis acht Wochen erstrecken kann.

Ein Kollege von Ihnen hat darauf aufmerksam gemacht, dass Covid-19 auch langfristige Schäden an der Lunge auslösen könnte…

Schwerste Infektionen in der Lunge können dort grundsätzlich zu Vernarbungen führen, was möglicherweise eine anhaltende Verschlechterung der Lungenfunktion zur Folge haben kann. Die Frage ist, ob eine Coronavirus-Infektion im Gegensatz zu anderen Lungenkrankheiten im höheren Maße zu solch einer Vernarbung  und somit zu anhaltenden Lungenfunktionsverlusten beitragen kann. Das lässt sich im Moment noch nicht abschließend beantworten. Gerade bei jungen Menschen, die bisher keine Lungenprobleme hatten, kann solch eine Vernarbung natürlich dafür sorgen, dass sie ein gewisses Handicap erleiden, was die körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit aufgrund eines Lungenschadens angeht.

Sind zum Beispiel Nichtraucher oder Ausdauersportler „robuster“ aufgestellt im Kampf gegen eine Infektion durch das Coronavirus?

Medizinische Forschung hat in den vergangenen Wochen ergeben, dass vom Coronavirus primär die Lunge, aber eben auch Zellen der Blutgefäße betroffen sein können, die im schlimmsten Fall verstopfen. Vermutet wird, dass bei älteren Menschen, bei denen die Gefäße nicht mehr so gesund sind wie bei jüngeren, die Gefahr, körperlich weniger robust auf das Virus zu reagieren, größer ist. Aber auch hier besteht noch Forschungsbedarf.

Ihr Experte für Lungenheilkunde:
Dr. Michael Weber
Chefarzt der Klinik für Pneumologie an der Zentralklinik Bad Berka