Harnwegsinfektionen: Revolutionärer Schnelltest erwartet

Harnwegsinfektionen: Revolutionärer Schnelltest erwartet

Harnwegsinfekte sind vor allem bei Frauen weit verbreitet. Mit Diagnose und Therapie der Erkrankung beschäftigt sich Professor Dr. Florian Wagenlehner. Er ist Direktor der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen. Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog spricht er über genetische Dispositionen, pflanzliche Präparate für die Therapie und einen revolutionären Schnelltest, den er zurzeit gemeinsam mit Mikrobiologen entwickelt.

Herr Professor Wagenlehner, wie viele Menschen leiden denn unter Harnwegsinfekten?

Es handelt sich ganz klar um eine Volkskrankheit. Die Zahl der Betroffenen variiert, je nach Altersgruppe und Geschlecht. Besonders Frauen bis zum Alter von 60 Jahren sind deutlich häufiger betroffen als Männer, in jeder Altersstufe sind es um die zehn Prozent, ab dem Alter von 60 Jahren sogar 20 Prozent. Diese Daten sind relativ verlässlich, sie fußen auf breiten Untersuchungen von Krankenkassen.

Was passiert bei einer Harnwegsinfektion?

Grundsätzlich handelt es sich um eine sogenannte aszendierende Infektion. Das heißt, dass Bakterien zunächst einmal von außen kommen. Es handelt sich hierbei meist um Erreger aus dem Darmtrakt, also fäkale Erreger, die die Harnröhre nach oben wandern. Je nachdem, wie der Wirt und wie die Bakterien ausgeprägt sind, können sie auch jenseits der Blase eine Infektion verursachen, zum Beispiel eine Nierenbeckenentzündung.

Welche Rolle spielt die körpereigene Abwehr?

Natürlich gibt es eine ganze Reihe von körpereigenen Abwehrsystemen. Bei Patienten, die dazu neigen, häufiger an Harnwegsinfektionen zu erkranken, ist es allerdings meistens so, dass diese Abwehrmechanismen nicht oder schwächer als normal funktionieren. Darüber hinaus gibt es auch verkomplizierende Faktoren wie Harnleitersteine oder Katheter, die die normale, körpereigene Baktierenabwehr stören.

Kann man diese Anfälligkeit für Harnwegsinfekte erben?

Ja, grundsätzlich kann man besonders die jüngeren Patientinnen in eine von zwei großen Gruppen einteilen: Die eine weist eine genetische Komponente auf, durch die die unmittelbare Abwehr der Bakterien geschwächt ist. Bei der anderen rühren die Probleme vom Geschlechtsverkehr her, durch den Bakterien leichter in die Harnwege gelangen und in die Blase wandern.

Wie sieht die Therapie gegen Harnwegsinfekte heute aus?

Das hängt von der Ausprägung der Harnwegsinfektion ab. Das Spektrum reicht hier von der einfachen Blasenentzündung bis hin zur Blutvergiftung. Bei schwergradigen Formen, etwa einer Nierenbeckenentzündung, müssen wir unbedingt Antibiotika geben, ohne sie könnten schwerwiegende Komplikationen entstehen.

Und was tun Sie bei einer einfachen Blasenentzündung?

Die verschwindet in 30 Prozent der Fälle relativ schnell wieder von selbst. Allerdings ist auch hier die Antibiotika-Therapie noch immer der Standard, und zwar mit Präparaten, die sehr speziell wirken, den sogenannten Nischen-Antibiotika.

Und was nutzen pflanzliche Mittel, von denen man häufig lesen kann?

Solche Phytotherapeutika, also pflanzliche Heilmittel, aber auch Schmerzmedikamente werden gegen die Blasenentzündung mittlerweile immer häufiger verwendet. Man kann heute davon ausgehen, dass rund 60 Prozent der betroffenen Patienten kein Antibiotikum brauchen würden, sondern eben mit einem solchen Schmerzmittel oder Phytopräparat therapierbar ist.

Was sagen Sie zu Cranberries und Bärentraubenblättern? Die scheinen mittlerweile sehr beliebt…

Hier geht es um die Therapie wiederkehrender Harnwegsinfektionen. Cranberries und Bärentraubenblättern sollen im Bereich der Prophylaxe, also der Vorbeugung, helfen. Dass das aber nicht der Fall ist, legt die derzeitige Datenlage nahe. Auf diesem Gebiet wird allerdings eifrig geforscht. Grundsätzlich positiv hervorzuheben ist sicherlich, dass die Medizin sich mittlerweile von der primären Antibiotika-Dauerprophylaxe verabschiedet hat. Vor vielen Jahrzehnten war das ja noch der Standard.

Hinsichtlich der Diagnose spielt noch immer die Untersuchung des Urins die Hauptrolle?

Ja, hier gibt es zwei Methoden: Zum einen die Analytik. Hier schauen wir nach, ob bestimmte Zellen im Urin vorhanden sind und nutzen die bekannten Teststreifen. Darüber hinaus gibt es die mikrobiologische Urinuntersuchung. Diese beinhaltet die Anzüchtung von Bakterien sowie die sogenannte Sensibilitätstestung. Hierdurch lässt sich feststellen, welches Antibiotikum bei der Therapie grundsätzlich wirksam werden kann. Einzig, im Moment dauert diese ziemlich aufwändige Untersuchung allerdings noch zwei bis drei Tage.

Wie könnte man das Verfahren beschleunigen?

Hier in Gießen arbeiten wir mit den Mikrobiologen aktuell an einem Schnelltest, bei dem innerhalb von ein bis zwei Stunden ein Ergebnis darüber vorliegt, ob gefährliche Bakterien mit im Spiel sind und ob der Patient eine Empfindlichkeit gegenüber einem speziellen Antibiotikum entwickelt hat.

Was wäre dabei für Sie als Arzt der konkrete Vorteil?

Diese Methode wäre insofern ein Durchbruch, als man in die gesamte Therapie steuernd eingreifen könnte. Bisher ist es noch so, dass nach drei Tagen, wenn die Ergebnisse der Untersuchung vorliegen, die Therapie oft schon abgeschlossen ist. Die dauert meistens nicht viel länger als drei bis fünf Tage. Was wir übrigens schon entwickelt haben, ist ein Fragebogen, der in der Lage ist, eine bakterielle Blasenentzündung vorherzusagen. Landläufig wird gedacht, die Diagnose sei ganz einfach, weil es schlicht im Harn brenne. Aber tatsächlich ist es schon ein bisschen komplizierter.

Erwarten Sie noch weitere Innovationen?

Im Bereich der Diagnose tut sich sehr viel. Neben der mit der Mikrobiologie entwickelten Schnelldiagnostik entwickelt man für die Therapie neue Antibiotika, und zwar besonders solche, die gegen die Harnwegsinfektionen wirken. Auch im Kampf gegen wiederkehrende Infektionen tut sich etwas. Und was wir seit Jahrzehnten sehnsüchtig erwarten, ist eine Impfung. Für viele Krankheitsbilder gibt es die ja längst, für die Harnwegsinfektion allerdings noch nicht. Hier ist die technische Umsetzung nicht einfach, weil die Bakterien sehr unterschiedlich sind. Es gibt hier aber mittlerweile erste klinische Studienansätze.

 

Florian Wagenlehner, UKGMIhre Experte für Harnwegsinfektionen:
Prof. Dr. Florian Wagenlehner
Direktor der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg