Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen – Unterstützung per App

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen – Unterstützung per App

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind für Betroffene und deren Angehörige sehr belastend und bedürfen einer komplexen individualisierten Therapie. Gekennzeichnet sind sie oftmals von Durchfällen, Blutabgängen aus dem Darm und Bauchschmerzen. Ihre Ursachen liegen in genetischer Veranlagung, Umweltfaktoren und einer Fehlregulation des Immunsystems im Darm.

Die gute Nachricht: Betroffenen kann mittlerweile sehr effektiv geholfen werden, zum Beispiel am Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen. Am dortigen Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin arbeitet der Kindergastroenterologe Professor Dr. Jan de Laffolie. Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog beantwortet der Experte die wichtigsten Fragen zum Thema, unter anderem die nach den Ursachen für die Erkrankung.

Herr Professor de Laffolie, wer leidet denn hauptsächlich an chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen?

Derartige Erkrankungen nehmen in der gesamten „Westlichen Welt“ stark zu, und inzwischen auch in den Entwicklungsländern. Früher dagegen sind sie eher selten aufgetreten. Gerade bei jüngeren Menschen beobachten wir eine Zunahme der Krankheitsfälle, insbesondere aber auch bei Kindern und Jugendlichen. Bei diesen verlaufen die Darmerkrankungen in der Regel auch wesentlich schwerwiegender als bei Älteren. Das heißt: Ausgedehnter und stärker, was die Entzündungen anbetrifft.

Wie kommt es zu solchen Erkrankungen?

Hier gibt es drei Säulen: Zunächst eine genetische Prädisposition. Daneben gibt es Umweltfaktoren, wozu unter anderem die übliche Ernährung in der sogenannten Westlichen Welt zählt. Dritter Punkt ist das Mikrobiom, und die Interaktion des Immunsystems mit diesen Bakterien, die in uns leben. Alle drei Aspekte beeinflussen sich auch untereinander, was die Situation komplex macht. Und sie verursachen letztendlich die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, die lebenslang bestehen bleiben.

Wie erfahren Betroffene denn in der Regel von ihrer Erkrankung?

Erste Anlaufstelle ist meistens der Kinderarzt. Typisches Symptom ist zum Beispiel eine sogenannte Gedeihstörung. Davon spricht man, wenn ein Kind oder Jugendlicher dauerhaft nicht an Gewicht zunimmt bzw. wächst. Zudem klagen viele Kinder und Jugendlichen über Bauchschmerzen, die allerdings zumeist unspezifisch sind. Oftmals höre ich auch von chronischen Bauchschmerzen und Durchfällen, die auch blutig sein können. Zudem möchten viele Betroffene nicht mehr essen, oder sie klagen über einen „Leistungsknick“ in der Schule. Auch Gelenkschmerzen oder -entzündungen oder entzündliche Haut- und Schleimhautveränderungen können erste Hinweise auf chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sein.

Wie können Sie Betroffenen dann helfen?

Um eine belastbare Diagnose zu bekommen, bedarf es multidisziplinärer Teams, die in spezialisierten Zentren wie dem unseren vorzufinden sind. Vertreten sind hier Kindergastroenterologen, die zusammenarbeiten mit Kinderärzt:innen, spezialisierter Kinderkrankenpflege und Fachangestellten, Kinderchirurgen, Psycholog:innen und Ernährungsfachkräften. Daneben gibt es auch noch diverse Subspezialisierungen.

Wie einfach oder schwierig gestaltet sich die Diagnose in der Regel?

Schon der Kinderarzt kann gute Arbeit leisten, indem er zum Beispiel den Stuhl der Betroffenen mit länger bestehenden Beschwerden auf fäkale Entzündungsmarker untersucht. Stellt sich die betroffene Person mit Bauschmerzen vor, achten die Ärzt:innen ganz gezielt auf sogenannte Rote Flaggen. Das sind Hinweise auf eine zugrundeliegende Erkrankung. Diese führen zu weiteren Untersuchungen.

Wie geht es dann weiter?

Besteht ein Verdacht, werden die Kinder und Jugendlichen von der Kinderärztin direkt zu uns überwiesen. Wir versuchen dann, die Diagnose zu sichern, was ein multidisziplinäres Vorhaben ist. Anhand von Stuhluntersuchungen werden gezielt Infektionen ausgeschlossen, zudem nehmen wir Blut ab und untersuchen es eingehend. Darauf folgen ein Ultraschall des Bauchs und eine Endoskopie, also eine Magen- und Darmspiegelung. Diese erfolgt im Dämmerschlaf, so dass die Betroffenen von der Untersuchung nichts merken. Danach haben wir zumeist eine eindeutige Diagnose.

Welches sind diesbezüglich die häufigsten Krankheitsbilder?

In der Regel handelt es sich um eine der beiden „großen“ Erkrankungsformen, also Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn, oder um eine andere chronisch-entzündliche Darmerkrankung im Spektrum dazwischen.

Und wie gut behandelbar sind derartige Krankheiten?

Die Wissenschaft macht ständig Fortschritte, und gerade unser Konzept der sehr individualisierten Therapie hat sich als flexibel und effektiv herausgestellt. Bei Morbus Crohn zum Beispiel ist der Baustein „Ernährungstherapie“ ein sehr wichtiger, der sich ständig weiterentwickelt. Zudem gibt es gut funktionierende medikamentöse Therapien. Und auch chirurgische Optionen, die an spezialisierten Zentren wie dem unseren durchgeführt werden können.

Warum ist die von Ihnen erwähnte Interdisziplinarität so wichtig?

Wichtig zu wissen ist, dass die Kinder und Jugendlichen natürlich nicht nur an der entzündlichen Erkrankung leiden, sondern, wie jedes andere Kind auch, phasenspezifische Entwicklungsaufgaben durchlaufen, also Wachstum, Schule, später die Pubertät, die psychosoziale Entwicklung, Identitätsfindung, und so weiter. Ebendiese können durch die Erkrankung, oder auch die Therapie erheblich erschwert werden. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass die Patientinnen und Patienten und ihr Umfeld von verschiedenen Disziplinen ganzheitlich betrachtet werden.
Spezialisierte Zentren der Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE), wie das unsere, die das ermöglichen, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter verbessert, und es gibt weiterhin ständig Fortschritte. Ein großer Vorteil ist zudem, dass die Ambulanzen durch Teilnahme am gemeinsamer Register CEDATA GPGE die Versorgung verbessern. Natürlich findet das unter Berücksichtigung der zurecht sehr hohen Datenschutzstandards in unserer Branche statt. Insofern kann ich zusammenfassend sagen, dass Betroffenen heute sehr effektiv geholfen werden kann, allerdings die Kapazitäten in solchen Zentren oft nicht ausreichen.

Betont wird häufig, dass bei komplexen Krankheitsbildern wie den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ein großer Fokus auf das Arzt-Patient-Verhältnis gelegt wird. Warum?

Gerade in der Kinderheilkunde ist der vertrauensvolle Kontakt sehr wichtig und wertvoll, und in unserer Disziplin seit jeher üblich. Er baut sich oftmals über Monate und Jahre auf. Das ist deshalb wichtig, weil die Therapie sowohl für die Patient:innen als auch für deren Angehörige sehr belastend sein kann und folglich gute Kommunikation zwischen ihnen und den behandelnden Fachkräften erfordert. Ich würde auch so weit gehen zu sagen, dass dieses Vertrauen eine wichtige Voraussetzung für eine wirksame Therapie ist. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass der Wechsel eines betreuenden Teams negative Auswirkungen haben kann. Ein solcher findet in der Regel dann statt, wenn Jugendliche aufgrund ihres Alters irgendwann in die Erwachsenen-Gatroenterologie wechseln. Um diesen Übergang so nahtlos wie möglich zu gestalten, arbeiten wir weiterhin an einem System, das die Kommunikation der Behandler:innen deutschlandweit verbessert.

Und sie haben auch technische Hilfe, nämlich eine App…

Genau, die CEDMO-App kann ich sehr empfehlen. Sie unterstützt Kinder und Jugendliche mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und ihre Familien bei dem, was man „Selbstmanagement“ nennt. Sie können verschiedene Daten, die ihre Krankheit betreffen, an einem zentralen Ort protokollieren und speichern. Dazu zählt zum Beispiel auch ein Ernährungstagebuch. Die Ärzt:innen in der Ambulanz können dann, nach Rücksprache und Einverständnis der Patient:innen, auf diese Informationen zugreifen. Dadurch können sie sich ein detailliertes Bild über den Krankheitsverkauf der vergangenen Monate machen. Die Infos in einer App zu notieren ist deshalb sinnvoll, weil Gedächtnisprotokolle in der Regel nicht sehr verlässlich sind. In die App integriert sind unter anderem auch Hilfen für den Alltag, wie einen weltweiten WC-Finder, weil Betroffene oftmals Probleme damit haben, im öffentlichen Raum eine Toilette zu finden.

Ihr Experte für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen:
Professor Dr. Jan de Laffolie
Kindergastroenterologe am Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Gießen