155 sind zu viel – Hotline Suizidprävention

155 sind zu viel – Hotline Suizidprävention

Suizide sind bei Jugendlichen in Deutschland die zweithäufigste Todesursache. Prof. Katja Becker vom Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Marburg will etwas dagegen tun und setzt sich daher für die nationale Suizidprävention ein. Ein prominenter Mitstreiter ist Dr. Eckart von Hirschhausen.

Ein Samstagabend Anfang März: Im TV läuft „Hirschhausens Quiz des Menschen“ – und plötzlich geht es in der Sendung um Depressionen und Suizid. Wie kam es dazu?

Becker: Dr. Eckart von Hirschhausen ist seit Januar Honorarprofessor am UKGM und wir standen seit einiger Zeit wegen verschiedener Themen in Kontakt. Als er mich fragte, ob ich in seiner Sendung zum Thema Depression und Suizidalität als Expertin dabei sein wolle, habe ich natürlich gerne zugesagt, weil es eines meiner Herzensanliegen ist.

In der Sendung erzählt ein 18-Jähriger, der bei Ihnen in der Klinik Patient war, anonymisiert seine Geschichte. Sind Suizidgedanken bei Jugendlichen denn so häufig?

Becker: Suizidgedanken sind im Jugendalter tatsächlich häufig. Nach Schulstudien kennen 14 Prozent der 15-jährigen Schüler:Innen Suizidgedanken. Sieben Prozent der 15-Jährigen berichten von einem Suizidversuch in der Vergangenheit. Im Jugendalter sind Suizide die zweithäufigste Todesursache. Insgesamt 155 Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren haben sich im Jahr 2020 in Deutschland das Leben genommen. Bei den unter 15-Jährigen waren es 25. Es zerreißt mir das Herz, wenn ich daran denke, dass sich diese junge Menschen in einer für sie subjektiv ausweglos erlebten Situation suizidiert haben. Und dabei ist bekannt, wie eine noch bessere und nachhaltige Suizidprävention sein müsste.

Wie müsste diese Suizidprävention denn aussehen?

Becker: Es gibt einen umfassenden Bericht des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), der den aktuellen Forschungsstand zusammenfasst und Empfehlungen beinhaltet, was für eine nachhaltige Suizidprävention getan werden muss. Für Menschen in jedem Lebensalter. Eine der zentralen Forderungen ist die Einrichtung einer bundesweiten Koordinierungsstelle zur Suizidprävention. Dazu gehört auch eine informative übersichtliche Homepage und wertvolle Informationen sowie konkrete Ansprechpartner für verschiedene Gruppen. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen Menschen mit akuter Suizidalität und aktuellem Hilfebedarf, Angehörige von Menschen mit Suizidalität sowie für Berufsgruppen, die beruflich mit suizidalen Menschen zu tun haben. Und nicht zuletzt Menschen, die einen nahestehenden Menschen durch Suizid verloren haben.
Ein Baustein dieser bundesweiten Koordinierungsstelle wäre auch die Einrichtung einer kostenlosen und rund um die Uhr erreichbaren Suizidpräventionshotline.

Gibt es denn noch keine vergleichbaren Anlaufstellen?

Becker: Deutschlandweit und übergeordnet gibt es das noch nicht. Aber es gibt einige sehr gute regionale Beispiele, wie zum Beispiel das Netzwerk für Suizidprävention in Dresden. Eine bundesweite Koordinierungsstelle würde natürlich die Erfahrungen und Kompetenzen der bestehenden regionalen Netzwerke mit einbeziehen und es bestünde eine enge Zusammenarbeit.
Und es gibt auch schon jetzt niedrigschwellige kostenfreie allgemeinere Telefon- und Beratungsangebote, wie zum Beispiel die Telefonseelsorge oder die Nummer gegen Kummer für Kinder. Diese leisten auch sehr wertvolle und wichtige Arbeit. Nichts desto trotz benötigen wir auch eine überkonfessionelle und fachlich spezifischere Beratung und sehr konkrete Hilfen für suizidale Menschen in einer akuten Notfallsituation.

Aber ist es denn klug, jemanden auf mögliche Suizidpläne anzusprechen? Bringe ich die Person so nicht erst auf die Idee?

Becker: Nein, es ist im Gegenteil besonders wichtig, gefährdete Menschen anzusprechen und zu vermitteln, dass man sie wahrnimmt und sich Sorgen macht. Und dass man ihnen helfen möchte, weil sie wichtig sind. Ungefähr neun von zehn Menschen, die über einen Suizid nachdenken, sprechen vorher darüber. Hier ist es wichtig zu wissen, wie man dann konkret in einer solchen Situation reagiert. Wichtig ist es hinzuhören und die Person konkret zu unterstützen, Hilfe zu bekommen. Und sie dazu zu begleiten. Und nicht abtun oder beschwichtigen im Sinne von „das wird schon wieder“.

Wie geht es denn Johannes, dem Patienten aus dem Film in der Sendung?

Becker: Das hat er großartig gemacht, nicht wahr? Durch seine ganz persönliche Geschichte hat er anderen Jugendlichen, die sich vielleicht gerade in einer ähnlichen Situation befinden wie er vor dem Klinikaufenthalt, Mut gemacht, sich ebenfalls Hilfe zu holen und helfen zu lassen. Gerade für Jugendliche ist der Schritt sich Hilfe zu holen nicht immer leicht, weswegen wir noch besser aufklären müssen. Hier hat Johannes sehr gut informiert und damit Vorbildcharakter. Ihm hat, wie er selbst berichtete, die stationäre Behandlung sehr geholfen und es geht ihm heute gut. Wenn wir durch eine verbesserte Suizidprävention auch anderen Jugendlichen beziehungsweise allen Menschen, unabhängig von ihrem Alter, früher und besser helfen könnten, wäre das doch großartig.

Zur Petition:
http://www.change.org/p/suizidprävention-geht-uns-alle-an


  • 155 Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren haben sich im Jahr 2020 in Deutschland das Leben genommen.
  • Jeder dritte Notarzt- beziehungsweise Rettungswageneinsatz ist aufgrund eines psychiatrischen Notfalls.
  • 25 Menschen sterben jeden Tag durch Suizid.
  • Alle 5 Minuten findet ein Suizidversuch statt.

Ihre Expertin für Suizidprävention

Prof. Dr. med. Katja Becker
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Marburg