Soziale Angststörungen – Diese Klinik bietet Hilfe

Soziale Angststörungen – Diese Klinik bietet Hilfe

Soziale Angststörungen im Kindes- und Jugendalter kommen häufiger vor, als die meisten Menschen annehmen würden. Für Betroffene sind sie oft extrem belastend – und können über die Jahre immer schlimmer werden.

Was Betroffene wissen sollten: Hilfsangebote gibt es viele, zum Beispiel die psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung in einer spezialisierten Klinik. Für eine arbeitet die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Dr. Daria Kasperzack. Als Leitende Psychologin steht sie der Spezialambulanz für Soziale Angststörungen vor. Diese gehört zur Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, einem Teil des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Marburg.

„Die Datenlage verweist auf eine Zunahme von Angststörungen bei Jugendlichen, und auch von sozialen Angststörungen während der Corona-Pandemie“, sagt Dr. Kasperzack im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog. Sie und Ihre Kolleg:innen behandeln Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 6 und 18 Jahren. Darüber hinaus gibt es auch eine Kleinkind-Sprechstunde für die ganz Jungen.

„Klassisch für Ängste ist es, dass die aktive Auseinandersetzung dafür sorgen kann, dass es Betroffenen besser geht“, sagt die Expertin: „Insofern gelingt es vielen unserer Patient:innen hier in der Klinik, sich relativ schnell an das neue Umfeld zu gewöhnen, was uns natürlich freut.“

Im Folgenden erklärt die Psychologin, welche Probleme ihre Patient:innen umtreiben, wie sie und ihr Team helfen können, und ob eine Selbsttherapie bei sozialen Angststörungen gelingen kann.

Frau Dr. Kasperzack, was kann man sich unter einer sozialen Angststörung vorstellen?
 
Angststörungen und auch soziale Angststörungen sind häufige Erkrankungen im Jugendalter. Zentral ist die Angst, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, sich peinlich zu verhalten und von anderen negativ beurteilt zu werden. Zahlreiche Studien belegen leider auch, dass viele junge Menschen zögern, sich mit diesen Problemen professionelle psychotherapeutische Hilfe zu suchen. Das führt unter anderem dazu, dass die Symptomatik oftmals erst relativ spät im Leben diagnostiziert wird. Wir sprechen hier von einem Krankheitsverlauf, der teilweise über Jahrzehnte schleichend verläuft und tendenziell von Betroffenen als immer schwerwiegender wahrgenommen wird. Wenn wir früh diagnostizieren und frühzeitig behandeln, sind die Chancen auf eine Verbesserung der Symptomatik deutlich besser, als wenn erst im Erwachsenenalter damit begonnen wird.

An wen sollten sich Betroffene zuallererst wenden?

Da empfehle ich die niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen sowie die Fachärzt:innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Zudem können sich Familien auch an die Institutsambulanzen der Kinder- und Jugendpsychiatrien wenden. Wer ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinem/r Hausärzt:in hat, kann sich natürlich auch dort eine erste Hilfe holen. Wichtig ist grundsätzlich, die eigenen Probleme offen anzusprechen, sich also zu trauen, sie zu thematisieren und sich einem Profi anzuvertrauen.

Viele, die sich aufraffen können, haben sicherlich Angst davor, zu lange auf therapeutische Hilfe warten zu müssen. Was sagen Sie dazu?

Das Hauptproblem für die meisten Menschen mit sozialen Angststörungen ist es, überhaupt erst einmal den Fuß in eine Praxis oder Klinik zu setzen. Sie haben große Bedenken, auch an einem solchen Ort bewertet zu werden. Diese Angst, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein, sich peinlich zu verhalten, negativ bewertet zu werden, ist für viele Betroffene entsprechend der Symptomatik riesig.

Wie können Sie diesen Ängsten als Therapeutin und als Klinik begegnen?

Ein wesentlicher Punkt lautet Sensibilisierung und Aufklärung, die sogenannte Psychoedukation. Das heißt: Wir müssen den Kindern und Jugendlichen Wissen über ihre Ängste und Handlungskompetenzen geben, so gut es geht. Was einfach klingt, ist manchmal natürlich eine langwierige Aufgabe. Grundsätzlich muss man wissen, dass junge Menschen mit sozialen Ängsten dazu tendieren, anderen nicht zur Last fallen zu wollen. Sie verhalten sich folglich sehr zurückhaltend. Was wiederum dazu führt, dass das Ausmaß der Symptomatik selbst von nahestehenden Menschen teilweise nur unzureichend wahrgenommen wird.

Das heißt, die Diagnostik ist schwierig?

Auf jeden Fall. Hinzu kommt, dass soziale Angststörungen oft mit depressiven Verstimmungen einhergehen und deshalb oftmals nicht auf Anhieb erkannt werden. Entsprechend ist es oft eine besondere Herausforderung, die Symptomatiken auseinanderzuhalten – und dann adäquat zu therapieren.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es denn?

Die gute Nachricht ist: Wir haben erwiesenermaßen wirksame Behandlungsmöglichkeiten, allen voran die sogenannte kognitiv-behaviorale Therapie. Hier gibt es wirklich gute Erfolgschancen. Wenn die soziale Angststörung also diagnostiziert ist, können sich Betroffene Hoffnung auf Besserung machen. Zur Verfügung steht dann zum Beispiel eine ambulante Therapie. Sollte eine solche nicht ausreichen, sollte man über eine zusätzliche medikamentöse Therapie nachdenken. Fairerweise muss ich aber auch erwähnen, dass eine späte Diagnosestellung gerade im Bereich der sozialen Angststörung dazu führen kann, dass die Chancen auf Besserung geringer sind als bei anderen Formen von Angststörungen.

Warum sind soziale Ängste überhaupt so problematisch?

Im Jugendalter gibt es eine ganze Reihe von sogenannten Hauptentwicklungsaufgaben. Eine wesentliche davon ist, mit Gleichaltrigen zurechtzukommen. Schlägt das fehl, kann die Entwicklung Schaden nehmen, was oftmals Auswirkungen auf das weitere Leben der Betroffenen hat. So kann dann zum Beispiel der Schulbesuch und eine erfolgreiche Integration in die Peergroup aufgrund der sozialen Ängste nicht mehr möglich sein.

Sind soziale Angststörungen vererbbar? Und falls ja: Hat das eine Relevanz hinsichtlich der Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung?

Wie bei den meisten psychischen Störungen spielt Genetik tatsächlich eine große Rolle. Aber wie bei allen Störungsbildern handelt es sich hier um ein komplexes Zusammenspiel von Genen und verschiedenen Umfeldfaktoren. Das bedeutet natürlich auch, dass es im Rahmen mancher Behandlungen sinnvoll sein kann, die Eltern oder andere Bezugspersonen der Betroffenen in die Therapie mit einzubeziehen. Denn Fakt ist natürlich, dass wir zwar an den Genen nichts verändern können, wohl aber an den Umfeldfaktoren, also unter anderem am Erziehungsverhalten, und am Umgang mit der Symptomatik.

Können Sie da ein Beispiel aus der Praxis nennen?

Wir wissen zum Beispiel, dass es zu einer Aufrechterhaltung der Ängste des Betroffenen führt, wenn diesem auf Dauer von Dritten Dinge abgenommen werden, wie zum Beispiel das Anrufen beim Pizzadienst. Warum? Weil dann den jungen Menschen die Möglichkeit genommen wird, selbst aktiv zu werden und ihre sozialen Kompetenzen zu erweitern. Und dadurch ist es ihnen auch nicht möglich, ihre Ängste abzubauen. Mit anderen Worten: Das Umfeld eines Betroffenen quasi „mitzudenken“ ist in unserer Disziplin sehr wichtig. Neben den Eltern ist natürlich auch die Schule für unsere Patient:innen ein relevanter Lebensbereich. Hier soll zum Beispiel das Üben des Haltens von Referaten dazu dienen, die Angst, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, abzubauen. Wir als Therapeut:innen sind also oftmals mit dem Lehrpersonal von Schulen im Austausch darüber, was für eine bestimmte Patientin oder einen bestimmten Patienten „angemessene Anforderungen“ sind.

Wenn sich Menschen entschieden haben, sich bei Ihnen in der Klinik behandeln zu lassen: Wie können Sie sich das Umfeld dort vorstellen?

Der erste Kontakt findet zumeist über die sogenannten Institutsambulanzen unserer Klinik statt. Hier wird zunächst einmal die Symptomatik erhoben, zusammen mit dem Kind/ Jugendlichen und den Eltern. Danach werden in der Regel Termine für die Diagnostik vereinbart, um die Symptomatik besser einschätzen zu können. Bei einem „Rückmeldetermin“ besprechen wir unsere diagnostische Einschätzung – und unsere Therapieempfehlung. Das kann zum Beispiel eine ambulante Psychotherapie sein. Es kann aber auch die Kombination mit einer Medikation sein. Oder, bei schwereren Ausprägungen, auch eine stationäre Behandlung. Dass einer solchen oftmals sorgenvoll entgegengeblickt wird, wissen wir. Und wir bemühen uns natürlich, diese Sorgen zu entkräften.

Und wie kann man sich das Leben bei Ihnen in der Klinik grundsätzlich vorstellen?
 
Es gibt einzel-, aber auch gruppentherapeutische Angebote, in denen es zum Beispiel um die Ausweitung von sozialen Kompetenzen gehen kann. Hier ist mir wichtig zu betonen, dass nicht alle Jugendlichen mit sozialen Ängsten automatisch Soziale-Kompetenz-Defizite aufweisen. Die individuellen Probleme sollten also zunächst in einer Diagnostikphase sehr genau und differenziert erhoben werden. Beliebt sind hier in der Klinik auch ergotherapeutische Angebote, die tiergestützte Therapie und natürlich die Bewegungstherapie. Zudem gibt es auch ein schulisches Angebot, auch um angstbesetzte Situationen wie Referate halten üben zu können. Unsere Patient:innen haben also insgesamt eine Art „Stundenplan“, der sie auch ein bisschen fordert und ihnen Struktur gibt.

Kann man eine soziale Angststörung eigentlich auch selbst therapieren?

Ich kann Menschen mit Ängsten nur raten, sich bewusst und mutig in diejenigen Situationen zu begeben, vor denen Sie Angst haben. Also: Vermeidung möglichst reduzieren! Mir ist klar, dass das einfach gesagt ist. Aber die Chancen auf Erfolg sind hier beachtlich. Wer dies nicht schafft, hat, das Recht auf eine professionelle Unterstützung, die wir hier gerne anbieten.

 

 

Ihre Expertin für Angststörungen:
Dr. Daria Kasperzack
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin,
Leitende Psychologin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Marburg