Achalasie – So werden Schluckbeschwerden behandelt

Achalasie – So werden Schluckbeschwerden behandelt

Den Begriff Achalasie dürften die meisten Menschen noch nie gehört haben. Dahinter verbirgt sich eine Erkrankung, bei der der untere Speiseröhren-Schließmuskel nicht richtig öffnet. Was zu schwerwiegenden Schluckbeschwerden führen kann.

Nur wenige Kliniken in Deutschland bieten hier ausgewählte Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten an. Eine davon ist die Klinik für Gastroenterologie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg am Standort Marburg.

Hier arbeiten die Professorin Ulrike Denzer, Sektionsleiterin der Endoskopie, und die Privatdozentin Dr. Michaela Müller, Bereichsleiterin der Funktionsdiagnostik. Im Jahr 2018 hat die Klinik komplett neue Räumlichkeiten bezogen, um ambulante und stationäre Patient:innen anhand neuester Technologie bestmöglich zu behandeln. „Bei uns geht es nicht nur um reine Diagnostik. Stattdessen sehen wir uns als therapeutische Einheit“, sagt Prof. Denzer im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog.

Einer der Behandlungsschwerpunkte der Klinik ist die minimalinvasive endoskopische Entfernung von frühen Tumoren, aber eben auch die minimal-invasive perorale endoskopische Myotomie (POEM), die Menschen mit Schluckbeschwerden sehr effektiv helfen kann.

Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog erklären die beiden Expertinnen die Speiseröhren-Schließmuskel-Problematik im Detail, erläutern alte und neue Behandlungsmethoden – und berichten von ihren Erfahrungen.

Frau Dr. Müller, könnten Sie das Krankheitsbild Achalasie kurz einordnen und erklären?

Dr. Müller: Normalerweise haben wir als Menschen in der Speiseröhre einen oberen und einen unteren Schließmuskel. Der untere sorgt dafür, dass Speisen nicht aus dem Magen zurück rutschen. Sobald wir anfangen zu kauen und zu schlucken, bekommt dieser Muskel die Info: „Du musst jetzt öffnen, damit das Essen durch die Speiseröhre in den Magen gelangen kann!“ Bei Menschen, die unter einer Achalasie leiden, ist dieser Öffnungsmechanismus gestört.

Weiß man, was die Ursache für diese Funktionsstörung ist?

Dr. Müller: Eindeutig bisher leider nicht. Umfangreiche Studien legen aber nahe, dass genetisch vermittelte Autoimmunprozesse eine wichtige Rolle spielen dürften. Als Auslöser könnte zum Beispiel ein Virusinfekt infrage kommen. Aber auch hier herrscht noch Unklarheit in der Medizin. Fakt ist, dass diejenigen Nerven, die für die nötige Entspannung im Schließmuskel sorgen sollten, gestört sind. Mit den genannten Folgen für die betroffenen Menschen.

Wie häufig tritt eine Achalasie auf?

Dr. Müller: Statistiken gehen von zwei bis drei Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern pro Jahr aus, allerdings dürfte die Dunkelziffer bedeutend höher sein. Einfach weil es viele Menschen mit Schluckbeschwerden gibt, die ihre Beschwerden Jahre lang tolerieren, ohne dass eine Diagnose erfolgt. Wir als Menschen sind da sehr anpassungsfähig. Viele Patient:innen haben quasi gelernt, mit einem nur wenig geöffneten Schließmuskel zu leben. Indem sie gut kauen und zum Essen viel trinken – und die Probleme damit so etwas wie „kompensieren“. Aber angenehm ist das natürlich nicht.

Wie kommt man denn zu einer Diagnose?

Dr. Müller: Grundsätzlich spielt bei Schluckbeschwerden die Endoskopie eine große Rolle, um auszuschließen, dass nicht ein Tumor oder eine Entzündung die Ursache für das Problem sind. Die erste Untersuchung ist daher meist eine Magenspiegelung, da die Erkrankung gerade im Anfangsstadium häufig als unauffällig beschrieben wird.

Welche andere Möglichkeiten gibt es?

Dr. Müller: Eine Druckmessung, die sogenannte Manometrie der Speiseröhre mittels einer Sonde mit 36 Druck-Mess-Punkten. Sie liefert uns wertvolle Informationen über den Schluck-Akt. Jedem Druck kann ein Farbwert zugeordnet werden, und dieses Muster können wir dann sehr genau auswerten – und Rückschlüsse ziehen. An diesem Punkt erkennen wir dann zum Beispiel, dass der genannte untere Schließmuskel nicht richtig arbeitet. Mit dieser Methode können wir aber natürlich auch andere Bewegungsstörungen der Speiseröhre feststellen, die ebenfalls zu Schluckbeschwerden oder Brustschmerzen führen können, da das Essen nicht wie gewünscht durch notwendige, koordinierte Kontraktionen in den Magen transportiert wird.

Und wie behandeln sie?

Dr. Müller: Da wir die Ursache wie erwähnt nicht kennen, können wir sie auch nicht behandeln, aber immerhin die Symptome lindern. Das erreichen wir dadurch, dass wir es ermöglichen, dass die Nahrung wieder ungehindert durch den unteren Speiseröhrenmuskel in den Magen gelangen kann.

Wie funktioniert das?

Prof. Denzer: Wir sprechen hier von einer lang erprobten Behandlungsmethode, der sogenannten endoskopischen Ballon-Dilatation, bei der ein Endoskop in den Mageneingang eingelegt wird. Anhand eines dicken Ballons wird der defekte Schließmuskel dann zum Einriss gebracht – um dadurch den sogenannten „Durchtritt“ von Speisen zu verbessern. Dieses Verfahren funktioniert allerdings nur bei speziellen Formen der Achalasie, nämlich den Typen 1 und 2. Zudem hält das Ergebnis in der Regel nicht besonders lange an. Oftmals haben die Patient:innen nach einigen Monaten oder einem Jahr erneut Schluck-Beschwerden.

Welche anderen Methoden gibt es darüber hinaus?

Prof. Denzer: Die chirurgische Methode, die auch als „Heller-Myotomie“ bekannt ist. Hier handelt es sich um eine Bauchspiegelung, bei der der untere Speiseröhren-Schließmuskel von unten angeschnitten wird. Zudem legt man eine Schlinge, um einen Rückfluss von Speisen zu verhindern. Auch dieses Verfahren ist seit Langem erprobt.
Die neueste Art der OP ist wesentlich schonender, nämlich minimal-invasiv. Als eine der wenigen Kliniken in Deutschland bieten wir unseren Patient:innen diese Behandlung an.

Wie genau funktioniert sie?

Prof. Denzer: Hier geht es um die endoskopische Durchtrennung des Muskels, die wir als perorale endoskopische Myotomie, kurz: POEM, bezeichnen. Das ist eine Operation, die nicht, wie bisher, von außen, sondern von innen erfolgt, und sehr gezielt. Das Prinzip ist aber von der Idee her ähnlich wie das der Chirurgie. Und sehr effektiv. Hier wird ein Tunnel durch die Speiseröhre bis in den Magen angelegt, und dann wird Muskulatur gezielt endoskopisch durchschnitten. Und zwar an denjenigen Stellen, die uns die grafische Druckpunkt-Darstellung anzeigt.

Führen Sie in der Klinik auch diese neuere Behandlungsmethode durch? Und wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit der POEM?

Dr. Müller: Ja, seit ungefähr zwei Jahren. Dabei kümmern wir uns neben der Diagnostik und Behandlung auch um die Nachsorge sowie die Betreuung im Langzeitverlauf unserer Patient:innen. Das Feedback ist wirklich gut, und ich bin auch ein großer Fan der Behandlung geworden, eben weil sie sehr schonend und sehr effektiv ist.

 

Ihre Expertinnen bei Schluckbeschwerden:

Professorin Ulrike Denzer
Sektionsleiterin Endoskopie
Klinik für Gastroenterologie des
Universitätsklinikum Gießen und Marburg
am Standort Marburg

 

 

 

 

 

Privatdozentin Dr. Michaela Müller
Bereichsleiterin der Funktionsdiagnostik
Klinik für Gastroenterologie des
Universitätsklinikum Gießen und Marburg
am Standort Marburg