Neuro-Covid: Wenn das Coronavirus ins Nervensystem gelangt

Neuro-Covid: Wenn das Coronavirus ins Nervensystem gelangt

In der Regel stehen beim Thema Coronavirus und Covid-19 die Lungenärzte im Fokus. Doch immer häufiger klagen Patienten auch nach scheinbar überstandener Erkrankung über Symptome wie Kopfschmerzen oder eine Beeinträchtigung des Geruchs- und Geschmackssinns.

Für derartige Folgeerkrankungen gibt es mittlerweile auch schon einen Namen: Neuro-Covid. Neurologen beschäftigen sich klassisch damit.

Im Gespräch mit dem RHÖN-Gesundheitsblog spricht Privatdozent Dr. Andreas Hartmann, Chefarzt der Klinik für Neurologie des Klinikum Frankfurt (Oder), darüber, wie das Virus möglicherweise ins zentrale Nervensystem gelangt und in welchem Zusammenhang die Lunge mit dem Gehirn steht.

Herr Dr. Hartmann, auch genesene Covid-19-Patienten klagen über Symptome wie Übelkeit, Schläfrigkeit oder den Verlust des Geschmackssinns…

Ja, prinzipiell besteht die Möglichkeit, dass das Nervensystem von Covid-19 beeinträchtigt wird. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir derartige Symptome in Zukunft häufiger feststellen werden. Es handelt sich um eine Folgeerkrankung der akuten Infektion unter Beteiligung des Nervensystems.

Wann merken Patienten, dass sie möglicherweise von einer solchen Folgeerkrankungen des Nervensystems betroffen sind?

Solche Symptome werden meist dann festgestellt, wenn die Patienten ihren normalen Alltagstätigkeiten wieder nachgehen. Also dann, wenn sie z. B. wieder zur Arbeit gehen. Hier wird schnell deutlich, ob man nach einer Krankheit wie Covid-19 seine volle Leistungsfähigkeit wiedererlangt hat oder eben nicht. In diesem Zusammenhang reden wir von Folgeeffekt-Zuständen, die die Betroffenen erheblich beeinträchtigen können.

Wie lassen sich diese Zustände medizinisch erklären?

Der Fachbegriff lautet Neurotropie. Das ist eine Affinität von Stoffen zum Nervensystem. Wenn wir vorübergehend den Geruchs- oder Geschmackssinn verlieren, ist das ein Hinweis darauf, dass sich das Virus an denjenigen Nerven, die für Geruch und Geschmack notwendig sind, quasi angedockt hat. Und genau da ist dann seine Eintrittspforte zum Nervensystem.

Wie gelangt das Virus nun ins Zentrale Nervensystem und was kann es dort auslösen?

Grundsätzlich ist zu sagen, dass Menschen ein Peripheres und ein Zentrales Nervensystem haben. Normalerweise ist zwischen diesen beiden eine Art Barriere.

Eine Möglichkeit wäre, dass sich das Virus über das Periphere System, über das auch Geruch und Geschmack geleitet werden, „hineinhangelt“ und entsprechende Barrieren zum Zentralen Nervensystem überschreitet. Hierdurch könnten Krankheiten verursacht werden. Häufig haben Patienten mit Erkrankungen des Hirns zu tun. Eher selten kommen zum Glück die Hirnhautentzündung und Rückenmarkentzündung vor. Diese können sehr schwerwiegend verlaufen.

Wie äußert sich die Erkrankung des Hirns?

Oftmals in diffusem Schwindel, Unwohlsein und Kopfschmerzen. In schlimmen Fällen kann es auch zu Bewusstseinsstörungen kommen. Oder zu einer Reduktion der kognitiven Fähigkeiten, also zum Beispiel der Merkfähigkeit. Unter dem MRT sieht man in solchen Fällen oft lediglich eine Schwellung des Gehirns. Wichtig ist auch zu wissen: Chronische Störungen, die das Virus ganz woanders, nämlich an der Lunge, hinterlässt, können auch Auswirkungen auf das Gehirn haben.

Wie kommt das?

Das liegt daran, dass bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit der Lunge das Hirn möglicherweise nur unzureichend mit Sauerstoff versorgt wird. Auch das ist eine Einschränkung, die vielleicht erst im Langzeitverlauf klar ersichtlich wird.

Gibt es im Rahmen von Covid-19 noch weitere neue Erkenntnisse?

Wir konnten zum Beispiel feststellen, dass Personen, die an Covid-19 erkrankt waren, häufig im Nachhinein einen Schlaganfall erleiden.

Das ist ein Hinweis darauf, dass an Zellen, die die Gefäße auskleiden, Entzündungen auftreten. Und das führt dann zu einer Entzündungskaskade im Körper, die wiederum bedingt, dass die Blutgerinnbarkeit erhöht wird. Wenn es die Schlagadern betrifft, besteht die Gefahr eines Schlaganfalls.

Gibt es Symptome, bei denen Sie Patienten in jedem Fall zu einem neurologischen Check-up raten würden?

Aufpassen sollten vor allem Personen, die eine Bewusstseinsstörung entwickeln, die nicht durch Sauerstoffmangel erklärbar ist. Hier sind dann eine Hirnbildgebung und eine Diagnostik vom Zentralen Nervensystem wichtig.

Welche Nachsorgeprogramme sind im Hinblick auf mögliche Folgeerkrankungen von Covid-19 aus Ihrer Sicht wünschenswert?

Reha-Mediziner können die genannten Zustände und Probleme der Patienten mittlerweile immer häufiger feststellen. Sie dürften in Zukunft auch verstärkt gefordert sein, um für die Patienten geeignete Nachsorgeprogramme zu entwerfen. Das Problem von uns Neurologen ist derzeit Folgendes: Wenn wir eine Entzündung am Gehirn oder am Rückenmark feststellen, haben wir außer einer symptomatischen Therapie bisher keinen kausalen Therapieansatz. Was medikamentös bei einer neurologischen Begleiterkrankung am besten unternommen werden sollte, ist also im Moment nicht ganz klar.

Überraschen Sie als Neurologe solche Folgeerkrankungen, die auch das Gehirn betreffen?

Eigentlich nicht. Einfach auch deshalb, weil wir aus früheren Coronavirus-Infektionen wie SARS und MERS ähnliche Erkenntnisse gezogen haben. Die Frage ist immer, wie hoch die Affinität eines Virus zum Nervensystem ist. Davon hängt ab, wie viele neurologische Begleiterkrankungen wir sehen.

Die Fachwelt hat die Thematik schon länger im Blick. Und es wird weiterhin natürlich zum Thema geforscht. Wichtig ist, dass neurologische Komplikationen möglichst frühzeitig erkannt werden.

Andreas Hartmann, FFO

Ihr Experte für neurologische Erkrankungen:
Privatdozent Dr. Andreas Hartmann
Chefarzt der Klinik für Neurologie des Klinikum Frankfurt (Oder)